Noch ist Licht im Saal, ehe es sehr schnell still wird und langsam ein nicht zu erklärendes Wesen in wallenden Stoffstreifen, ohne Gesicht, die Bühne der Volksbühne Berlin betritt. Schritt für Schritt. Jetzt totale Stille. Die Spannung wächst. Der Hit „Sunny“ bringt Erlösung. Und mit der Einspielung des Songs von Robert „Bobby“ Hebb kommen die Tänzer*innen des Staatsballetts auf die schlicht gehaltene Bühne. Leicht bekleidet in unfarbigen Höschen und Hemdchen. Vielleicht sollte bereits der Song richtungsweisend sein und auf das von Emmanuel Gat choreografierte Tanzstück einstimmen? Bobby Hebb komponierte „Sunny“ 1966 in Erinnerung an seinen Bruder, der einen Tag nach der Ermordung John F. Kennedys durch eine Messerstecherei in Nashville ums Leben kam. Hebb widmete seinen Song nicht dem Lächeln einer Frau, das die Trauer vertrieb, sondern Gott, wie er sagte. Sollte s hier eine Assoziation zu dem eingetretene Wesen geben?
Aber das war es dann auch mit der wiedererkennbaren Musik. Die weitere Musik von Awir Leon sind Elektrosound, Techno-Beat-Rhythmen, zu denen sich die Tänzer*innen in verschiedensten Stimmungssituationen bewegen. Das Wesen legt nach und nach sein Kostüm ab und wird Teil der Gruppe von neun Tänzer*innen. Sie vermitteln in ihren Bewegungen Melancholie und Trauer, formieren sich zu unterschiedlichen kleinen Gruppen, sind nur teilweise aufeinander abgestimmt. Sie beobachten ihre Bewegungen, vollziehen sie zum Teil gegenseitig nach, wiederholen sie
Den Stimmungswechsel im Song „Sunny“ versucht Gat im Tanzstück aufzugreifen. Oder auch nicht? Ruhe, Stille, dunkle und lethargische Momente, dann wieder expressive Ausbrüche der Tänzer*innen, kraftvoll und unberechenbar durch den Elektrosound angetrieben. Aber nicht freudig, optimistisch, sonnig. Ein System scheint nicht zu existieren. Regeln werden gebrochen. Getanzt wird scheinbar mit viel Improvisation. Ist das gesamte Tanzstück ein Experiment? Erstmals hat Emmanuel Gat mit dem Corps de Ballet Berlin eine Choreographie zur Aufführung gebracht. Dabei zeigten sich die fantastischen Tänzer*innen des Staatsballetts offen für seine moderne Tanzsprache. Den Aufführungsort für „Sunny“ in die Volksbühne zu verlegen, war von der neuen Staatsballettleitung Johannes Öhman und Sasha Waltz vielleicht auch ein Versuch, aber der gelungenere.
„ ‚Sonnig‘ ist eine Disposition. Entweder Du hast eine sonnige Einstellung, oder du hast eine lausige…“ Bobby Hebb
SUNNY
Tanzstück von Emanuel Gat
noch am 4. und 5. Januar 2020
Volksbühne Berlin
Artikelfoto:»Sunny« by Emanuel Gat, Photo: © Jubal Battisti