Tod. Wie sieht er aus? Gibt es eine genaue Grenze zwischen Leben und Tod? Einen genauen Übergang?
Wie der Tod aussieht, weiß wohl niemand. Aber die Intervalle, die Phasen bis zum endgültigen Lebensende schon. Und wie er sich letztendlich anfühlt, erfahren Hinterbliebene in seiner ganzen Konsequenz. Giuseppe Verdi (1813) musste bereits in jungen Jahren den Verlust seiner Kinder (1838/39) und seiner ersten Ehefrau (1840) durchleben. Trauer, Schmerz, Leid und Schwermut quälten und prägten ihn. Der Gedanke, eine Totenmesse zu komponieren verfestigte sich nach Gioachino Rossinis Tod (1792). Nach dem Tod seines Dichterfreundes Alessandro Manzoni realisierte er mit „Messa da Requiem“ (1873) dann sein bedeutendstes Werk außerhalb seines Bühnenschaffens. Verdis Vertonung der katholischen Totenmesse setzt sich mit dem Thema Tod auseinander, in seiner Traurigkeit, den vermeintlichen Auswegen, der endgültigen Hoffnungslosigkeit, aber auch mit Glauben, Trost und Zuversicht.
Choreograph Christian Spuck
Verdis Werk, für Soli, Chor und Orchester komponiert, feierte seitdem Erfolge. Längst wurde das Requiem nicht mehr in Kirchen gesungen, es wurde in großen Konzertsälen gefeiert. Verdis Musik trifft genau die Gefühle, die der Tod assoziiert.
Wie mutig musste es aber sein, das Requiem in all seiner Emotionalität visualisieren zu wollen. Letztendlich die Auseinandersetzung der Lebenden mit dem Tod, ohne Vorurteile, nicht als Abbild von Klischees oder als Deutung des liturgischen Textes. Der Züricher Ballettdirektor und Choreograph Christian Spuck wagte das Unterfangen bereits 2016 und brachte seine Inszenierung jetzt zum Frühjahr 2023 als Kooperation des Staatsballetts Berlin mit dem Rundfunkchor Berlin auf die Bühne der Deutschen Oper Berlin. Mit großem Erfolg. Am 20. April 2023 vor fast ausverkauftem Haus.
Schwarz könnte der Tod sein oder Grau in verschiedenen Nuancen. Das Bühnenbild farblich und als konsequenter Kasten so gehalten, bietet ein optimales Umfeld für Chor, Sänger-Solisten und Tänzer*innen für die Geschichten des Requiems. Das Requiem erzählt, das Ballett begleitet, interpretiert mit seinen Bewegungen und seinen Figuren. Es wird nach oben getanzt mit vielen Hebungen und nach unten auf den Boden. Eine fluffige, schwarze auf dem Boden liegende Masse, verstärkt das Dunkle des Themas. Schnelles Laufen lässt die Masse aufbauschen und erzeugen Glitzereffekte, Hoffnungsschimmer.
Da Formen sich Tänzer*innen, die Sänger-Solisten, der über 80 Mitglieder starke Chor zu Gruppen, mal körperlich enger zusammen, ein anders Mal, weit voneinander entfernt. Die Musik bleibt das verbindende Element. Mobile Spots werfen Schatten der Tänzer*innen an die graue Wand, mystisch, wie aus einer anderen Welt. Überhaupt entspricht die Lichtsteuerung von Matin Gebhardt angemessen dem Inhalt der Messe.
Chor und Quartett choreografiert
Dieses Requiem ist eine gesamtkünstlerische Choreographie von Christian Spuck, die nicht am Corps de ballet Halt macht. Der Chor bewegt sich mit, gehört zu der Inszenierung, wenn er sich wellenartig oder kämpferisch bewegt, aufgereiht an den Wänden stehend sich statisch zeigt oder sich als Block zu einer Lichtung für die Solisten des Quartetts oder Tänzer*innen öffnet, um sich danach aber schnell wieder zu einer homogenen, singenden Masse zu verschließen. Die Chormitglieder schreiten an die grauen Bühnenwände wie zu einer Klagemauer, schreiben ihre individuellen Botschaften nieder. Christian Spuck bindet auch die Gesangssolisten in seine Inszenierung mit ein. Wenn sie sich auf der Bühne bewegen, von einer Seite zur anderen schreiten, Ihre Bühnenpräsenz dominiert jedoch durch ihre wahrlich überzeugenden Stimmen. Und das ist auch gut so. Unter der musikalische Leitung von Dominic Limburg boten Olesya Golovneva (Sopran), Karis Tucker (Mezzosopran), Attilio Glaser (Tenor) und Lawson Anderson(Bass) Höchstleistungen. Auch das Orchester, jahrelang gefeiert, weiß Dominic Limburg so zu dirigieren, dass das Requiem die Verdi‘schen Höhen und Tiefen des menschlichen Seins voller Emotionen dargeboten werden, laut und leise, energisch und verzweifelt. Das Requiem zeigt das Thema Tod in all seine Facetten.
Das Unvermeidbare
Die szenischen Bilder der Tänzer*innen begleiten die eindringliche Musik auf der Bühne. Ihre Bewegungen fließen und wirken vertraut. Wenn der Kampf gegen den Tod beginnt, die Kräfte rar werden, Hilfe und Unterstützung kommen, aber letztendlich doch nicht das Unvermeidbare aufhalten können. Spuck’s tänzerische Interpretation zeigt die die Angst, den Zorn, die Hilflosigkeit, die der Tod dem Menschen auferlegt. Seine Endlichkeit, die Schmerz und Trauer hinterlassen, Auch wenn die verschiedenen Szenen mehrheitlich leise und zurückhaltend getanzt werden, wirken einige tänzerische Momente besonders nachhaltig. Wenn in „Dies irae“, dem Tag des Zorns, ein Mensch allein, verlassen und hilflos tanzt.
Das Pas de deux mit Polina Semianova und David Saares berührt ebenfalls tief. „Agnus dei“, übersetzt als „Lamm Gottes“ und steht symbolisch für Erlösung und Auferstehung finden beide ihre tänzerische Einheit. Verbinden sich durch ihre fließenden Armbewegungen bis ins fast Unendliche.
Aber dennoch. Der Tod kommt. Die Sehnsucht nach Erlösung, „befreie mich“ singt Olesya Golovneva mit dem Chor in „Libera me“.
Christian Spuck inszeniert Verdis Requiem eindrucksvoll als Gemeinschaftsproduktion von Opernchor- und orchester und Ballett. Bestimmt eine bisher neue Form, die die Zuschauer*innen herausfordert. Tatsächlich zeitgemäß.
Man darf auf Weiteres gespannt sein vom Choreographen Christian Spuck, der ab der Spielzeit 2023/24 das Staatsballett Berlin als Intendant übernehmen wird.
Giuseppe Verdi, »Messa da Requiem« Aufführung am 29.4.2023
für Soli, Chor und Orchester
Choreographie und Inszenierung: Christian Spuck
Musik: Giuseppe Verdi, Musikalische Leitung: Nicholas Carter
Dirigent: Dominic Limburg
Bühnenbild: Christian Schmidt, Kostüme: Emma Ryott
Licht: Martin Gebhardt
Dramaturgie: Michael Küster, Claus Spahn
Choreinstudierung: Justus Barleben
Sopran: Olesya Golovneva, Mezzosopran: Annika Schlicht, Karis Tucker
Tenor: Andrei Danilov, Attilio Glaser, Bass: Lawson Anderson
Solist*innen und Corps de Ballett des Staatsballetts Berlin
Rundfunkchor Berlin
Orchester der Deutschen Oper Berlin
Weitere Termine Messa da Requiem mit dem Staatsballett Berlin
04.05.2023, 06.05.2023, 12.05.2023,
02.06.2023, 19.06.2023, 22.06.2023, 27.06.2023
Artikelfoto: Messa da Requiem, Staatsballett Berlin. V. Segova O. Golovneva Foto: Serghei Gherciu