Es war wie ein Traum – ich hatte einen Zimmerschlüssel in der Hand, einen richtigen Zimmerschlüssel, etwas unhandlich, etwas schwer. Ein Spitzenhotel als Nostalgieoase, als Hort einer ungewollten Rückständigkeit? Meine Ratlosigkeit, meine Verblüffung stand mir wohl so sehr ins Gesicht geschrieben, dass die Empfangsdame sich fast entschuldigte und mit leichtem Stolz aber auch Wehmut in der Stimme erklärte: ‚Ja, noch haben wir bei uns so etwas – aber die Karte kommt‘. Oh wie schade, schrie ich innerlich auf – aber auch die schönste Nostalgie in einem der schönsten Häuser geht einfach mal zu Ende. Das ‚Parkhotel Laurin‘ in Bozen hat zwar noch einiges davon zu bieten; aber der Zug in die Moderne rollt beständig. Und dann doch noch das Gefühl, ein Zimmer richtig aufzuschließen, ein Hoch-Gefühl wie nach einigen Gläsern Champagner. Dann das Zimmer: behaglich, wohnlich, moderne Kunst vom Allerfeinsten, wie in allen Zimmern des Hauses.
Echte Kunst im eigenen Zimmer. Zwischen Kubin und Kokoschka dokumentiert sich der Anspruch eines vornehmen Privathauses. Rund 200 Originalwerke des 20. Jahrhunderts, Holzschnitt oder Leinwand, Impressionismus oder Neue Sachlichkeit. Und dann der Blick in den Garten,
4000 m² historisch angelegt, üppige prachtvolle Vegetation, über 100 Jahre alte Bäume, Träume aus Natur und Skulpturen. Und dann noch ein kleines nostalgisches Juwel: die Bar, beliebter gesellschaftlicher Treffpunkt mit der einzigartigen Freskendekoration von Bruno Goldschmitt aus dem Jahr 1911:
die Sage des Zwergenkönigs Laurin. Eine etwas dunkle, sinnliche Atmosphäre, stilvoll eingesogen mit einem Südtiroler Williams-Christ von Roner, Reserv. Saftige, samtene, vollmundige Birne.
Versöhnung mit der Tristesse des Draußen, denn von südlicher, sonniger, mediterraner Atmosphäre war nichts zu spüren. Bozen hatte sich verhüllt, dichte, tiefhängende Wolken und ein kräftiger, heftiger Dauerregen. Zum Glück mussten wir das Haus nicht verlassen, denn der Gault Millau preist das hauseigene Restaurant in höchsten Tönen: 2 Hauben, 15 Punkte. „Manuel Astuto ist erst 26 Jahre alt. Der Bozner mit sizilianischen Wurzeln will diese ganz persönliche Mischung auf den Tisch bringen“. Also machen wir die Probe aufs Exempel
Knuspriger Wolfsbarsch auf Gewürzmango mit Wasabi-Mousse und Martini-Sorbet.
4 Elemente: Mittelmeer, Thailand, Japan und Italien. Ein gelungenes Aufeinandertreffen und ein sehr geschmacklicher Einstieg. Der Fisch perfekt gebraten, krosse Haut, leicht glasiges Innenleben. Die Mango und die Wasabi-Mousse: ausdrucksstarke, leicht prickelnde Aromatik und das Sorbet ein herrlich kühlendes Element.
Hummer-Zedernfrucht-Millefeuille mit Artischocken Crudité
Ein himmlischer Hummer, die Frucht eine funktionierende Schaukel zwischen süßlich-säuerlich und auch die rohen Artischockenstreifen stehen für eine geschmackliche Balance
Bärlauch-Kartoffelteigtaschen mit einheimischen Kitz gefüllt und Spargelzweierlei
Einfach nur wunderbar und toll: die Taschen schmelzen, der Bärlauch gibt die Farbe und schmeckt nur in unendlicher Ferne. Das Kitz, Natur pur, geschmacklich hochexplosiv und der Spargel perfekt.
Also das Wetter konnte noch so verrücktspielen, Seele und Magen waren auf Hochtouren. Und dann der tiefe Sturz, ein Küchenunwetter der nicht erwarteten Art – halt: warten mussten wir schon, die Zeit bis zu den Hauptgerichten dehnte und dehnte sich, da halfen auch nicht als Warteschleife ein paar Ravioli. Geduld ist nicht immer hohe Essenssache. Jetzt aber zum Küchendesaster
Bei Niedertemperatur geschmorte Kalbswange in der Lagrein Dunkel Sauce mit Kartoffelpüree und glasierten Gartenkarotten
Die Kalbswange war zwar weich aber hatte wahrscheinlich durch die lange Warteschleife irgendwo den artgerechten Geschmack verloren. Das Sößchen war annehmbar. Das Püree hatte sich ins Nirwana verflüchtigt, stattdessen Bratkartoffeln!!!! Bratkartoffeln und dunkle Sauce, Matsche Patsche war das Ergebnis. Ein Unding, der Küche absolut unwürdig. Aber es kam noch schlimmer
Steinbutt aus dem Atlantik mit „Taggische“ Oliven, Vesuv- Tomaten auf Kartoffelblättern und gefüllter Zucchiniblüte
Der Steinbutt war zum zweiten Mal gemeuchelt: total fest, die Vergewaltigung eines edlen Produktes, die Zucchiniblüte fest, zäh die Füllung und ein Angriff auf den Geschmack schließlich der Ausbackteig: Zement pur.
Entsetzen und Erklärungsversuche beim Service. Perfekter Charme. Nichts wird dadurch erklärlicher, nichts nachvollziehbar – aber elegant abgefedert. Kompliment an Irene Unterhofer.
Als wir gehen, regnet es noch immer.