Bozen, 2. Tag. Immer noch Regen. Untertrieben. Regen ist die Anhäufung von Tropfen, hier sind es Kaskaden, Wasserfälle, die aus bleiernem Himmel herabstürzen. Der mediterrane Charme der Stadt ist hinter dicken, grauen Schleiern verschwunden. Die wunderbare Einkaufsmeile, die gotischen Arkaden, „Lauben“, düster und grau. In den Läden Dunstschwaden durchnässter Kunden. Der Obstmarkt ein Schatten. Walter von der Vogelweide
eigentlich strahlend elegant in weißem Laaser Marmor, ist ausgewaschen, dunkel, düster, unnahbar. Die Schönheit und Eleganz seiner Verse reduziert sich auf einen Stoßseufzer: „ dô dâhte ich mir vil ange, wie man zer welte solte leben.“Das Leben als Zeitraffer, hetzen, eilen, Pfützenspringen. Der Versuch einer Begegnung mit wunderbarer Geschichte und faszinierender Gegenwart: Schloss Sigmundskron.Düster und drohend scheint sie Kulisse für ein Shakespeare Drama zu sein.
Die Begegnung endet in Unvollkommenheit. ‚Messner Mountain Museum‘ ist nur der Hauch einer Ahnung. Boden, Felsen, Treppen glatt und gefährlich wie eine Eisbahn. Schade, denn hier ist der bedeutendsteTeil der Messnerschen Museumslandschaften. Die Thematisierung der Auseinandersetzung Mensch-Berg. Kunst, Installationen, Reliquien. Sonderausstellungen. Im Augenblick: ‚BERG HEIL- Die missbrauchten Alpen‘, mit Werken des Münchner Künstlers Walter Tafelmaier. Beindruckend, intensiv, nachdenklich. Die Sonderausstellung geht noch bis zum 18. November. Hier wird Messners Warnung und Forderung nachdrücklich umgesetzt: die Berge müssen mit ihrem Wildniswert und ihrem Gefahrenpotential in den Mittelpunkt aller Bemühungen um die Bergwelt gestellt werden, um ihren Zauber zu bewahren. Die Realität 2012: Warteschlangen bis zu 45 Minuten am Hang, wie bei einer Volksfestattraktion.
Immer noch Regen, der Blick auf Bozen und eine Ahnung mit Worten von Reinhold Messner: „ Für mich ist Bozen ein Berg, der sich in eine Stadt verwandelt hat. Sobald du dich bewegst, ändert er sein Aussehen. Du fährst fort und das Profil wird ein anderes, du kommst zurück und entdeckst immer neue Seiten. Es spricht unterschiedliche Sprachen. Er ist im Grunde ein Schauspieler, bezaubernd und widersprüchlich, abweisend und anziehend, warmherzig und kalt“.
Wieder im Hotel, im ‚Laurin‘. Trockenlegung in der Bar, dann Ruhephase auf dem Bett. Plötzliches Erwachen – Halluzinationen? Die Lampe schwankt, das Bett bewegt sich. Sekunden nur. Dann Normalität. Später erfahren wir, es waren die Nachbeben des Unglücks von Modena. Kunst im Hause , in den Zimmern. Erinnerung an 215, Wassily Kandinsky und sein Holzschnitt ‚Fagott‘.
‚Ganz große Häuser stürzten plötzlich. Kleine Häuser blieben ruhig stehen. Eine dicke harte eiförmige Orangenwolke hing plötzlich über der Stadt. Sie schien an der spitzen Spitze des hohen hageren Rathausturmes zu hängen und strahlte violett aus‘.
Die Realität hat uns wieder, ebenso der Regen. Das Ziel: der Musterplatz und das Restaurant ‚Kaiserkron‘.
Eine Szene, wie aus einer Barockoper: reiches Stuckwerk, die ehemalige Stadtresidenz eines Bozner Kaufmannes, der nicht gerade als bescheiden galt, ein Kriegsgewinnler, munkelt man. Früher eben auch ein Theater im Hause, mit über 200 Sitzplätzen. Auch Nachtquartier für Papst Pius VI., Kaiser Josef II., Kaiser Franz I. und Kaiser Franz Joseph. Beeindruckende Kulisse für eine beindruckende Küche. Robert Wieser ist jetzt der Gastgeber, Philipe Mantinger und Patrick Zelger die Küchenzauberer – und alles in der Verantwortlichkeit von Siegfried Baumgartner, einem der Großen der Südtiroler Küche. Also: hohe Erwartung und Spannung.
Als Auftakt ein Rindertatar.
Tolle Fleischqualität, eine ungewöhnliche Kombination, Sardelle und Mozzarella – gewagtes Spiel: Satz und Sieg für die Küche, ein köstliches Geschmackserlebnis.
Zweiter Streich: ein Oktopussalat
Möhrenstreifen, hauchdünne Blumenkohlscheiben, Rucola, Datteltomaten vermählen sich in schönster Harmonie mit einem butterweichen Oktopus. Ein singendes, swingendes Mittelmeer.
Nach der mediterranen Leichtigkeit , regionale Massivität durch einen Pressknödel aus Käse, Schnittlauch und Brot auf Krautsalat und Rucola.
Da werden die Magennerven schon mal kräftig gepresst, durcheinandergerüttelt aber abgefedert durch den Salat und den Rucola.
Noch einmal Südtiroler Regionalität pur: Schlutzkrapfen mit Spinatfüllung
Keine harte Tour, sondern samtig sanft und federleicht, der Spinat ein idealer Partner, der Graukäse darüber nimmt seine Dominanz zurück und ist nur ein wunderbarer geschmacklicher Ratgeber und Begleiter.
Dann ein Wildgulasch mit Polenta
Was haben wir da schon alles vorgesetzt bekommen und häppchenweise gelitten. Hier ist alles pure Harmonie: ein toller Wildgeschmack, ohne die Geschmacksnerven zu sehr zu überfordern, Preiselbeeren ins Gulasch eingearbeitet, eine interessante Komponente, die den Geschmack in leichte Sphären hebt. Dazu eine wunderbare, federleichte Sauce. Und die Polenta, eine schmelzende Verführung, gewürzt mit dem Salz aus Storo, einer norditalienischen Gemeinde im Trentino. Region, Produkt und Küche punkten grandios.
Schließlich der Schlussspurt, das Dessert: Ananas Ravioli mit Büffel Ricotta
Welch eine Idee und welch eine Umsetzung. Die Ananas hauchdünn geschnitten wird als Raviolo umfunktioniert, dann die unnachahmliche Fülle mit ihrem unnachahmlichen Geschmack. Drumherum eine elegante Karamelsauce und ein geschmacklich hervorragendes Haselnusskrokant. Begleitet und umschmeichelt von einem Joghurteis, gelungener Gegenpart zur leichten Säure.
Eine bemerkenswert gute Küche , die die Region intelligent und perfekt mit italienisch –mediterranen Elementen verbindet. Ein bemerkenswert charmanter Gastgeber und eine Auswahl an Riedelgläsern, die Kennerherzen höherschlagen lässt. Das ‚Kaiserkron‘ eine wunderbare Kulisse für eine prunkvolle, elegante Küchenvorstellung.
Regen in Bozen, Sonne im Magen.