Meine Geschichte über Matthias Diether beginnt vor 8 Jahren. Ich fahre nach Wolfsburg, um eine Sendung mit Sven Elverfeld zu machen. Eine Sensation: der ICE ist pünktlich und der ICE hält in Wolfsburg. Auf dem Bahnsteig: Matthias Diether. Freundlich, herzlich, ein Strahlen in den Augen, gelebte Offenheit, Klarheit. Alles Komponenten, die wir heute in seiner Kochkunst finden. Wenn man schon in Wolfsburg ist, muss man Sven Elverfeld über Matthias Dieter befragen. Seine Antwort: ‚ein Herzensmensch, der ganz genau wusste, was er wollte und wo er hin möchte. Und ich erinnere mich an sein Faible fürs Filigrane.‘
Auch hier wieder die Begegnung mit der Gegenwart. Was und wohin war klar: Erfolg, Titel, Stern. Die Wanderwege: Eiermann: Disziplin und Professionalität/ Wohlfarth: wie bei einem Doktor/ die große Lernphase, Staudenmaier:4 Mann, 6 Tage und zwei Sterne/Dieter Müller, ‘mein Vater‘, sagt er/ Elverfeld: Kumpel und Freund. Die Welt lockt, der arabische Raum- mit der Erkenntnis, dass Händchenhalten mit Knastaufenthalt endet; Schottland, ein wunderbares Land, bekennt er; London: beim Rasenmäherkauf wird der Deutsche gefragt, was er damit will, den dritten Weltkrieg anfangen? Nichts wie weg und über das Töpferhaus in Alt Duvenstedt nach Berlin ins Hotel Palace , wo er 25 Sterneköche aussticht.
Eine Adresse mit großer kulinarischer Tradition, die auch unter dem neuen Direktor Michael Frenzel nicht aufgegeben wird.
Der geborene Berliner Matthias Diether ist in der Zwischenzeit in seiner Heimatstadt angekommen, hat sich gefunden, kann sich verwirklichen. Nicht nur Berlin ist sexy, sondern auch E(e)ssen ist sexy: in Diethers Interpretation: jung, dynamisch, modern. Das Gericht und die Aromen sind der Star, Gradlinigkeit ohne Firlefanz, keine l’art pur l’art. Einige Kostproben vom letzten Besuch
Espuma vom Heu und Huhngelee
eine ungewöhnliche mutige Komposition, die die Region in leuchtendsten Farben spiegelt – elegant, leicht, wunderbar gelungen, die geraspelte Macadamia Nuss, die Königin der Nüsse, fast buttrig und leicht knusprig. Eine ideale Krone.
Blutwurstblini-Schmand-Blaubeere
Die Blutwurst erobert sich immer mehr die Herzen der Spitzenköche. Hier ein Aromentango: der Solotänzer natürlich die Blutwurst mit dem etwas herben Geschmack von Majoran, dem Kitzel durch brasilianischem Pfeffer und einem Hauch von Zimt. Dann die Partner Blaubeere, süß-säuerlich, weich und saftig – Forellenkaviar, fein und nussig – ein gekonnter Einsatz gegen die kräftige Blutwurst. Der Abschlussschritt, der Black Corté, schmelzender Schmand
Königskrabbe-Erbse-Sanddorn
Die Augen werden geblendet, optisch ein Erlebnis. Das Knallgrün der Erbsen und der Sprossen, das Apricot der Physalis und vom Sanddorn, das Weiß-Rot der Krabbe. 3 Elemente, die alles bestimmen: die absolute Klarheit und Frische der Krabbe, die leichte Süße, der Hauch von Meereswellen – die angenehm herb-süße Erbse; erfrischend, fein süß, leicht säuerlich die Physalis und noch einmal das leicht säuerliche durch den Sanddorn. Insgesamt ein klarer, sauberer , runder Geschmack.
Welch traumhaft sicheres Händchen Diether beim Fisch hat beweist der Seeteufel im Pilzwald mit einer Sauce riche und schwarzem Knoblauch
Auch hier wieder drei Elemente, die den Teller wunderschön ausfüllen: ein Topprodukt, der Seeteufel, perfekt gegart, zart schmelzend das weiße feste Fleisch- der Pilzwald aus Steinpilz und Pfifferling ein kleines Gemälde, köstliche Harmonie mit dem Fisch, da kann man schon fast zum ‚Veggie‘-Verfechter werden. Die Sauce ein leichter Hauch, eingefärbt mit Sepia und dunklem Balsamico- eine gelungene Aromatikbalance aus herb und leicht süß.
Geschmorte Kalbsbacke-Lakritz-Fenchel.
Ungewöhnlich, gewagt, gewonnen. Die Kalbsbacke entführt in den 7. Fleischhimmel, ausdrucksstark im Geschmack, butterweich in der Konsistenz. Lakritze – also die Süßholzwurzel – ist ein herrlicher Aromaträger in der Küche, hat nichts mit den Alltagsschnecken im Massenangebot zu tun. Die Wurzeln enthalten die organische Verbindung Glycyrrhizin, die für den süßlichen Geschmack sorgt . Tolle Ergänzung zum Fenchel mit seinem Geruch und Geschmack nach Anis
Genuss in passendem Ambiente, das ‚First Floor‘, früher ein leichter Hauch von Plüsch und gesetzter Tradition, ist heute wie die Küche und die Mitarbeiter: leicht, locker, elegant, verführerisch. Diether selbst kommt zu Beginn an den Tisch und bespricht mit dem Gast das Menü. Einbindung und Bindung in Perfektion. Dazu noch ein Element spielerischer Leichtigkeit und Vermittler eines großen Wissens ohne Dogmatismus: Gunnar Tietz, einer der besten deutschen Sommeliers.
Die Begegnung der Dietherschen Art wird zu einem Teil eines neuen Bewußseins, das Essen fester Bestandteil unserer Kultur, mit viel Liebe und Leidenschaft. Wunderbare Erkundungsreisen am Gaumen. Seine große Sensibilität wird spürbar, sein Leben mit der Emotion. Diether rennt keinem Trend hinterher, er setzt ihn selber: wie er kocht, Ehrlichkeit beweist, angefangen beim Lebensmittel bis hin zum Teller. Der Film ‚The Game‘ mit Michael Douglas fasziniert ihn – vielleicht wegen der physischen und psychischen Belastungsproben durch ein Geschenk. Seine psychische Balance erhält er durch die Partnerschaft, da sind sie die Glücksgefühle, die Hormone. Zutaten seiner Intelligenz und Passion, also Leidenschaft – Zutaten seiner Kunst und seines Wesens. Matthias Dieter hat sich in das Herz der Stadt gekocht.