Es war fast eine Hommage an den 150. Geburtstag von Richard Strauss, Erinnerung an seine Alpensinfonie: Berchtesgaden in dicke Wolkenschwaden eingehüllt, die Bergwelt abweisend, nicht sichtbar, rätselhaft grau verborgen- ein Spannungsbogen aus Anspannung und Entspannung, Erwartung und Ankunft, Aufhellung und Verdunkelung. Alles im Einklang mit der Gegend, mit der Geschichte. Die steile Serpentinstrasse verursacht leichte Magenschwindelgefühle, der Regenebel dient nicht als Sedativum, Irritation. Aus all der Ungewissheit, der Verschwommenheit, der Verborgenheit, zerrissene Einblicke in und auf das ‚Intercontinental Resort Berchtesgaden‘. Das Hotel als Symbiose von Gegenwart und Geschichte, das Berg-resort auf 1000 Meter Höhe als Gratwanderung zwischen ‚Glamour‘ und ‚Grauen‘ , wie es Vielschreiber und Schnellschreiber abklassizifizierten. Obersalzberg und der Tourismus. Bedrückende historische Erinnerungen und die Leichtigkeit des Seins. Panoramablick und Tausendjähriges Reich. Volker Dahm, Leiter des Instituts für Zeitgeschichte in München, setzt klare Zeichen bei der Eröffnung des Hotels: „NS-Orte entmystifiziert man am besten, in dem man das normale Leben einziehen lässt“ und der Hinweis auf das Dokumentationszentrum in unmittelbarer Nähe. Andreas Nachama, Direktor der Stiftung Topographie des Terrors in Berlin nennt den Obersalzberg mit seiner kombinierten Nutzung einen ‚Lernort‘, vergleichbar mit anderen prominenten Nazi-Orten, die trotz ihrer Vergangenheit genutzt werden. Nach so viel gedanklicher und tatsächlicher Karussellfahrt- aus atmen, einatmen: der Blick auf die Bergwelt wetterbedingt verhindert, der Blick aufs Hotel ein Genuss: harmonische Schwingungen, natürliche Elemente, Transparenz durch Glas.
Die Natur als Teil des Ganzen. Natursteine, edle Hölzer, warme Erdtöne, klare Linien. Elemente, die sich auch im neugestalteten Restaurant 3‘60° wiederfinden. Mitte Mai konnten sich 170 geladene Gäste davon überzeugen, eine Voreröffnung mit kulinarischen Leckerbissen der gesamten Küchenmannschaft
und einer launigen Rede des Innenarchitekten Klaus Sporer, der zunächst fragte, was eigentlich so ein Innenarchitekt macht: „ Farbe der Vorhänge aussuchen. Hier ganz anders, Farbe des Stuhlbezugs. Erstaunlich, wie eine so kleine Entscheidung ein ganzes Restaurant verändern kann.“ Sein Bekenntnis zur klaren Formensprache: Kreis, Zylinder, Quadrat, Würfel – die Verwendung natürlicher Materialien, eine zurückhaltende Farbgebung, durchdachte Beleuchtungstechnik und ein interessantes Kunstkonzept.
Der Abend als kleiner Einstieg in das große neue kulinarische Konzept. Zwei Tage später die Probe aufs Exempel.
Sobanudel – Erdnuss, Limette, Mango, Ingwer
Soba die dünne braun-graue gekochte Nudeln aus Buchweizen, wichtiger Bestandteil der japanischen schnellen Küche. Die Form der Nudeln ein Symbol: Die lange Form als Hinweis auf ein langes Leben.Eine Nudel, die sich perfekt und harmonisch mit vielen Zutaten verbindet. Hier stritten um den leckeren Gaumenpreis, Erdnüsse, kleine Stückchen Limette, köstlich als erfrischendes Element, eine perfekte Mango,leicht elegant süß, der Ingwer als ferner Geschmackshauch, gute Balance, Möhrenjulienne als bissfeste knackige Ergänzung, eine leichte Schärfe durch die Shisokresse und ein elegantes Dressing aus Erdnuss, Limette, Knoblauch und einem Hauch Currypaste. Asien in geschmacklicher Reinkultur.
Hummerschaumsuppe – Granny Smith
Ein Süppchen der Extraklasse – cremig voll, nicht zu intensive Röstaromen, Hummerstückchen voller Saft und Kraft, der Apfel in Streifen ein ideales, leicht säuerliches Tüpfelchen, voller Frische und Frühlingsaromen.
Tagliolini – weißer Tomatenschaum, Gambas, Basilikum
Perfekt die sehr dünnen langen Bandnudeln, die Gambas super saftig, auf den Punkt gegart, süß, saftig, leicht glasig, ein wunderbarer Geschmack. Der weiße Tomatenschaum leicht und locker, ein Hauch Chili, vielleicht auch Galgant oder Zitronengras. Optisch ein herrlicher Anblick, Ästhetik pur.
Kalbshaxe – Gremolata-Urkarotte-Sellerie
Italien und Bayern in Reinkultur. Die Haxe ein Traum und Gedicht von Fleisch, optimal gegart, der Geschmack kann schon Sinne verwirren. Sellerie leicht erdig samtig – passt. Die Urkarotte, zum Glück wieder entdeckt und im Handel, lila farben, fast schwarz, süßer im Geschmack, saftiger. Optisch ist sie sicher nicht unbedingt attraktiv im dunklen Gewand, der Geschmack aber schlägt alles. Wunderschön und geschmacklich eine elegante Ergänzung: die halbierten Saubohnen als grüne Punkte im ‚dunklen‘ Jus im Urkarottenwald.Das italienische Element, Gremolata, die Kräuterwürzmischung aus der lombardichen Küche, Petersilie, Zitronenschale, Knoblauch, Orangenschale, passt sich hervorragend an.
Waldmeisterparfaitwürfel – Himbeeren, Baiser, Rhabarber
Hier tanzt erst mal das Auge Tango: ein Rausch von Farben und Formen.
Im ersten Schkoladencubus: Rhabarber. Im zweiten Cubus: Waldmeister. Eine schmelzende Wonne, die dunkle Schokolade, eine herber Ritter und die fruchtigen Windmühlenflügel. In der Spitzeistüte: Rhabarber Espuma. Zuckerwatte als filigraner süßer Schaumschläger. Miniaturen als Pluspunkte für den Gaumen: die Früchte und der Marshmallow.
Die regionale Käseauswahl strotzt nur so vor Patriotismus, selbstbewußter Regionalität.
Eine Alpensinfonie mit den Sätzen: Blümbrie, Ziegenbaron, Rotkäse, Bergblüte und blauer Tiroler. Standing Ovations für den Chefdirigenten und seiner Küchencrew.
Ein sehr, sehr junges Team in der Küche und draußen im Service, Man spürt einfach, dass sie emotional dabei sind. Übrigens: Das 3‘60° muss sich hinterm sternebekrönten ‚Ciel‘ nicht verstecken.