Der letzte Fischer und sein Kult-Imbiss
Gabriele Richter / Florian Maaß
Wenn im Mai die Buchen über dem Fischerstrand ihr grünes Kleid anlegen, weiß Jürgen Kuse: Es ist Hornfisch-Zeit! Gegen vier Uhr morgens fährt der Fischer raus auf die Ostsee und holt die ersten Exemplare aus dem Stellnetz. „Wenn ich dann wieder Richtung Strand fahre, scheint die Sonne auf die weißen Villen und bringt sie zum Strahlen“, schwärmt Jürgen Kuse. Der gebürtige Binzer staunt immer wieder über die rasante Entwicklung, die das Ostseebad Binz in den vergangenen 25 Jahren genommen hat. Ihm selbst ist es ebenfalls gut ergangen – dank der rettenden Idee, den Fisch selber an die Gäste zu verkaufen. Seine Fischräucherei am Strand ist längst Kult, sogar Bundeskanzlerin Merkel war schon da. „Die Wiedervereinigung hat alle meine Erwartungen übertroffen“, sagt Jürgen Kuse.
Jedes Jahr im Mai kommt der Hornhecht zum Laichen nach Rügen. Gegen vier Uhr morgens fährt der letzte Fischer in Binz dann raus auf die Ostsee und holt die ersten Exemplare ins Boot. Das Stellnetz hat er bereits am Vortag in den Meeresboden der Prorer Wiek gesetzt. Ähnlich wie es schon sein Urgroßvater vor 120 Jahren machte. Für den 51jährigen stand früh fest, dass er nichts anderes machen will. An einem klaren Frühlingsmorgen leicht nachvollziehbar. „Der Blick vom südlichen Ende des Fischerstrandes über die Binzer Bucht bis nach Sassnitz ist atemberaubend“, erzählt Kuse.
Den gebürtigen Binzer erstaunt es immer noch, wie schnell die prächtigen Bäderarchitektur-Villen in Binz nach der Wende saniert wurden. Er selbst sieht sich auch ganz klar als Gewinner der deutschen Vereinigung. Von den acht verbliebenen Küstenfischern in Binz zum Ende der DDR hatte nur er den Mut, auf eigene Faust weiter zu machen. Er nahm die Veränderungen positiv als „Herausforderung und Chance“ an und wurde Unternehmer. Grundlage war die Überzeugung, „dass auch im vereinten Deutschland die Gäste weiter nach Binz kommen“. Doch wie gut es sich für das Ostseebad und ihn entwickeln würde „das hat alle meine Erwartungen übertroffen.“ Dank der rettenden Idee, den Fisch selber an die Verbraucher zu verkaufen. Direkt vom Boot und anschließend in seiner „Fischräucherei Kuse“, einem Imbisslokal mit Verkaufstresen am idyllischen Fischerstrand.
600 bis 900 Gäste kommen in der Saison täglich zu ihm, inzwischen beschäftigt Kuse zehn Mitarbeiter, hinter dem Fischlokal parkt ein SUV. Als die Subventionierung der Küstenfischerei mit dem Ende der DDR wegfiel, war klar, dass er nicht länger alleine vom Fang leben könnte. Umgekehrt könnte er wirtschaftlich ohne die Fischerei auskommen, aber die Frage stellte sich nicht. Jürgen Kuse ist Küstenfischer aus Leidenschaft und für ihn ist es der Kern des Geschäfts.
Abseits vom Trubel und ohne Durchgangsverkehr ist der Fischerstrand heute ein Ruhepol in Binz. Als Jürgen Kuse klein war, war am traditionellen Standort der Küstenfischer morgens Hochbetrieb. „Es war klasse für mich als Kind, wenn die alten Fischer ihre Geschichten erzählten, das hatte schon Nostalgie und Romantik“, erinnert er sich. Die Fischräucherei ist heute der beste Ausgangspunkt für Wanderungen in die Natur und Kuse fühlt sich oft als Außenstelle der Touristeninfo. „Bestimmt 20, 30 Mal am Tag gebe ich Wandertipps“ lacht er.
Inzwischen könnte Jürgen Kuse die gemütliche Bretterbude am Strand durch ein schickeres Lokal ersetzen, doch das urige Ambiente ist längst Kult. „Bei uns kann man sich gehen lassen, auch einfach in der Badehose kommen“, meint Kuse. Beeindruckt hat ihn der Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel: „Wir hatten ein nettes Gespräch, sie war sehr interessiert und überhaupt nicht oberflächlich.“ Gäste, die gleich nach der Wiedervereinigung als Kind mit ihren Eltern hier waren, bringen inzwischen ihre eigenen Kinder mit. Und für viele ist es zum Ritual geworden, als letztes vor der Abreise noch mal zu Fischer Kuse auf ein Fischbrötchen zu gehen. Das Rezept für die Hausspezialität Pfeffer-Hering hat Kuse von einer alten Fischersfrau und das Einlegen hat 25 Jahre lang seine Mutter Rike gemacht, sie ist gerade 80 geworden. Nun ist es die Aufgabe von Ehefrau Petra.
Jürgen Kuse fischt ganz traditionell und liegt damit genau im Trend, denn die Stellnetz-Fischerei ist die nachhaltigste Art des Fischfangs. Mit Stellnetzen fängt Kuse besonders zur Heringszeit. Wenn die zugewiesene Fangquote für Heringe erreicht ist, geht Kuse zu Aalreusen über. Manchmal ist die Heringsmenge bereits ausgeschöpft, wenn der Hornfisch kommt. Dann ist der Fang deutlich aufwändiger. Erst müssen rund 3000 Tobias-Fische als Köder gefischt werden, dann jeweils auf einen der Haken gespießt werden. Die Reuse wird nachmittags ausgelegt. Schon um zwei oder drei Uhr morgens wird sie wieder aufgenommen. Das dauert etwa vier Stunden, drei Stunden das Reinigen der Reusen. Ein Fulltime-Job. Gleichzeitig mit dem Hornfisch kommt der Dorsch, danach folgen Flunder und Scholle. Und der Aal. Wenn es wieder kälter wird, kommt der Seelachs. Alle kommen immer früher im Jahr. „Die Ostsee wird wärmer“ beobachtet Kuse. „Die Erderwärmung“ fügt er trocken hinzu.
Weder Ozonloch noch EU-Fangquoten schrecken die Kuses vom Fischfang ab. Die Zukunft des Familienbetriebes ist gesichert. Sohn Manuel macht gerade das Kapitänspatent, nachdem er eine Fischerlehre absolvierte. Und auch als erfolgreicher Radsportler tritt er in die Fußstapfen des Vaters. Der geht es inzwischen ruhiger an. „Zusammen mit meiner Frau radle ich kreuz und quer über die Insel, Binz ist der perfekte Ausgangspunkt dafür“, sagt er.
Kuse mag die Zeit im April und Mai besonders gerne, „wenn man sich schon auf den Sommer freut, es aber noch ruhiger ist“. Die Ostsee ist nur dann so richtig türkisfarben, sie verändert ihre Farbe über das Jahr. Am klarsten ist das Meer im Winter, „dann kann man bis sieben Meter tief unter Wasser sehen“, erzählt Kuse.
Zurück an der „Fischräucherei Kuse“. Gegen sechs Uhr knistert verheißungsvoll das Feuer über dem Buchenholz im Räucherofen, der Hornfisch hängt darin und ist gleich fertig. Jürgen Kuse selber mag die Hechtart wegen ihres mageren Fleisches, am liebsten gekocht mit Petersiliensoße und Kartoffeln. Viele Gäste bestaunen die Rügener Spezialität mit dem langen Schnabel lieber als ihn zu probieren. Sie entscheiden sich dann doch für den vertrauteren Hering. Auch die blaugrünen Gräten schrecken eher ab. Dabei seien die doch ein klarer Vorteil, meint Fischer Kuse, „die sieht man wenigstens gut“.