Das Deutsche Theater und viele seiner MitarbeiterInnen trauern um Fred Düren, der vor wenigen Tagen in Jerusalem im Alter von 86 Jahren gestorben ist. Er hat dem Ensemble des Deutschen Theaters von 1958 bis 88 angehört, wurde 2008 sein Ehrenmitglied und viele seiner Rollen, vor allem diejenigen, die in der Zusammenarbeit mit Benno Besson entstanden, sind unvergessen, etwa sein Tartüff, Shylock, Faust oder Ödipus. Mit einer kleinen Geste, etwa wie er als Ödipus seinen Schwellfuss zeigte, konnte er ein ganzes Leben in seiner bewegenden Unzumutbarkeit offenbaren. Fred Dürens Spiel wie auch das Verhältnis zu seinen KollegInnen war weit entfernt vom Erklären und Belehren. Er verband die Direktheit des Tons mit der Tiefe und Weite existenzieller Welterfassung. So wie er selbst auf Eigenständigkeit beharrte, so ermunterte er auch junge KollegInnen, eigenen Wegen des Suchens und der Darstellung zu vertrauen.
Fred Düren, für den Hilfsbereitschaft und soziale Verbindlichkeit von großer Bedeutung waren, hat erst spät seine jüdischen Wurzeln entdeckt. Nachdem er mehrfach nach Jerusalem gereist war, entschied er sich 1988, nicht mehr nach Berlin zurückzukehren, weil er seine Zukunft als Rabbiner sah. Dabei hat er die Nähe zu den KollegInnen, die er mochte, nie aufgelöst. An Geburtstagen rief er sie oft an und spielte ein kleines Ständchen auf der Mundharmonika.
Sein Glauben lehrte Fred Düren, dass man die Verstorbenen gehen lassen und an sie mit kluger Zurückhaltung erinnern soll, weil der Tod nach einem erfüllten Leben auch eine Heimkehr sein kann. Diese Haltung dem Sterben gegenüber ermahnt uns, seiner voller Respekt und dankbar dafür, was er vielen war, zu gedenken
Ulrich Khuon, Intendant DT
Im Tagesspiegel schreibt Kerstin Decker:
1985, vor dreißig Jahren, spielte er seine letzte Rolle: den Juden Shylock im „Kaufmann von Venedig“ am Deutschen Theater, seinem Theater. Dann stieg er von der Bühne herab, für immer, wie er sagte. Er verließ die DDR ein Jahr vor ihrem Ende. Aber Fred Düren ging nicht in den Westen: Fred Düren ging nach Jerusalem.
Freunde und Publikum verharrten in ungläubigem Erstaunen. Das Berliner Arbeiterkind Fred Düren, der legendärste „Faust“, der je auf einer DDR-Bühne stand, wollte Rabbiner werden.
Aus marxistischer Sicht war das zweifellos ein Rückschritt, aber der Partei der Arbeiterklasse hatte Düren da bereits seinen Austritt erklärt. Wegen unüberbrückbarer weltanschaulicher Differenzen. Doch selbst Goethe hätte diese Entwicklung wohl kaum verstanden. Allein 150 Mal spielte Düren den großen Selbst- und Weltzweifler Faust, stand immer wieder im brandenden Beifall. Rabbis müssen ohne dieses Geräusch auskommen. Würde er denn leben können – mit so viel ganz und gar ungewohnter Hintergrundstille?
Eine Dreiviertelstunde soll der Applaus am 14. Oktober 1962 im Deutschen Theater gedauert haben. Es war die Premiere von Aristophanes’ „Der Frieden“ in der Fassung von Peter Hacks, Regie: Benno Besson. 15 Mal hob und senkte sich der Eiserne Vorhang, und das galt vor allem einem: dem griechischen Winzer Trygaios, der auf dem Rücken eines Mistkäfers zum Olymp fliegt, um sich bei Zeus über den Kriegslärm auf Erden zu beschweren. Und dieser Beifall galt einem kleinen Lied, das niemand, der es einmal hörte, wieder vergaß. „ … die Oliven gedeihn/der Friede zieht ein.“ Dieser Friede, jeder spürte es, war größer, als Menschen ihn machen können. Es war sein Lied, das Lied des Fred Düren.
Menschen lieben die, in denen sie sich erkennen. Fred Düren gehörte zu diesen Auserwählten von unten. Er war der Immer-noch-Kleinere. Aber groß noch im Verschwinden. Trygaios eben, einer, den das Leben leicht übersieht, doch am Ende kommt nicht einmal Zeus an ihm vorbei. Natürlich hatte auch Dürens Faust nichts Faustisches. Das ist doch gar kein Faust!, urteilte der Theaterkritiker Walter Ulbricht, auch darum wurde Adolf Dresens Inszenierung von 1968 zum Skandal. Doch irgendwie hatte Walter Ulbricht schon recht. Der Mann dort vorn war eher ein Hiob.
Mehr als 100 Rollen hat Düren gespielt, in großen und kleinen DEFA-Filmen war er zu sehen. Vor neun Jahren betrat ein schmaler Mann mit Kippa und langem weißen Bart zum letzten Mal die Bühne des Theaters, das einmal sein Theater war. Er sang das Friedenslied des Trygaios, sang es zum Tode seines Regisseurs Benno Besson, für ihn. Am 2. März ist Fred Düren, der Rabbi, der Faust war, im Alter von 86 Jahren in Jerusalem gestorben.