Bewusste Natürlichkeit – Ana e Bruno in Berlin



Der Mann holt tief Luft. Freundlichkeit in den Augen, keine aufgesetzte Charmeoffensive, sondern bewusste Natürlichkeit. Der Körper spannt sich, ein angehauchter Handkuss, ein kleiner Strauß gelber Rosen. Bruno Pellegrini ist in seinem Element, ist ein perfekter Gastgeber. Einstimmung auf natürliche Freuden, den Sinnen angenehm, ohne jede Überflüssigkeit. Besser zu essen, besser zu trinken, diese Aufführung erlebt der Gast immer wieder in einem bürgerlichen Charlottenburger Eckhaus, im Parterre, bei „Ana e Bruno“.

Der Charme des Gastgebers verzaubert ebenso wie die elegante mediterrane Inneneinrichtung des Restaurants: Holzdielen, warmes gelb-blau in den Gardinen und Möbeln, Orchideen auf den Tischen, Lilien auf der Bar. Moderne Kunst an den Wänden, in der Mitte des Raumes eine feurige, bunte Skulptur á la Niki de Saint Phalle. Wer hier von Edelitaliener spricht, ist am falschen Ort, zeigt Oberflächlichkeit. Wolfram Siebeck bezeichnet es als „eines der besten Restaurants auf deutschen Boden“ und beklagt, dass der Michelin hier wieder seine Ignoranz beweist, „gerechterweise zwei Sterne“. Spielerische Leichtigkeit, ohne erkennbare große Anstrengung ist hier am Platze. Epikur als ein guter Ratgeber: “Der Anfang und die Wurzel alles Guten ist die Lust des Bauches.“ Hier treffen sich Wurzel und Geist, die bodenständige Trattoria, das Landgasthaus, auf dem sich alles aufbaut, mit einem Spitzenrestaurant, das die Wurzeln verfeinert und veredelt. Vielleicht muss für „Ana e Bruno“ der Begriff „Trattorante“ oder „Ristoria“ in die kulinarische Gastgebersprache eingeführt werden.

Vor ein paar Stunden noch hat er Rasen gemäht, Hecken geschnitten, Blumen gegossen, jetzt ist er Ratgeber, Freund, Beichtvater – als perfekter Gastgeber in seinem Restaurant. Der Gast fühlt sich sofort wie zuhause, wird in keine Schublade gepackt, sondern als Freund des Hauses behandelt. Am Nebentisch erklärt der Padrone seine Menüüberlegung, schwatzt niemanden etwas auf – nein, nicht das teuerste wird empfohlen, sondern die Individualität des Gastes gefördert. So entstehen im Dialog immer wieder ungeahnte Köstlichkeiten. Pellegrini hat erkannt, dass er immer wieder dazu lernen muss, sein Opa ist ihm der beste Lehrmeister: „wenn der Tag kommt, wo du glaubst alles gelernt zu haben, ist es Zeit ‚nach oben’ zu gehen“. Pellegrini hat gelernt, hat sich aus der Hauptdarstellerrolle rausgenommen und ganz in den Dienst der gelebten und erlebten Gastlichkeit gestellt.

Mit Erfolg. Am Ecktisch reklamiert eine ältere Dame den Fisch, den habe sie nicht bestellt. Pellegrini jetzt in der Schlichter-, Mittler und Erklärrerrolle. Das Ganze ist ein Missverständnis, der Gast hatte Seeteufel mit Seewolf verwechselt. Spielerisch charmant ist Harmonie im Raum. Keine steife Atmosphäre, keine Status-Krawattenträger. Sakko und Krawatte können auch an der Garderobe abgegeben werden. Familiäre Intimität. Dazu ein junger Service, aufgeschlossen, fröhlich, unkompliziert.

Ein Schweizer Pärchen feiert Geburtstag, auch hier wieder gelbe Rosen und ein wunderbarer Gosset Champagner. Bruno kennt sie alle, die kleinen, wichtigen Gesten. Er ist ein guter Psychologe, merkt genau, wann ein Gast reden möchte. Reden ist dann wichtiger, als Blattgold auf dem Teller. Immer wieder die Runde durch das Restaurant, manchmal schwebt er über seine Dielen in Richtung Küche, um die Köstlichkeiten seines Küchenchefs, Andrea Girau, persönlich zu präsentieren.

Girau bietet eine Küche, die immer noch einfacher wird, immer noch vernünftiger und dadurch immer vollkommener. Federleichte Gnocci mit einer Geschmacksexplosion durch ein Kaninchenragout, eine Gänsestopfleber perfekt gebraten, umschmeichelt von glasierten Rhabarberwürfeln, geangelter Wolfsbarsch mit frischen dicken Bohnen. Rezepte, die immer wieder abgeändert wurden, um sie noch einfacher zu gestalten, reduziert auf den wesentlichen Kern. Das Verrückte mancher früherer Ideen ist verschwunden, das sinnvoll Originelle und Kreative bleibt. Mangold-Reh und Quitte-Escarum und millefiori, Ricotta und Birne. Ein Geschmacksfeuerwerk. Die Küche ist originell, ohne Wiederholungen, immer phantasievoll – höchste Raffinesse und Einfachheit. Bruno holt wieder tief Luft, sein Körper ist grazile Spannung. Die Augen ein Meer an Freundlichkeit. Herzliche Verabschiedung – und wieder der angehauchte Handkuss.
Luciano De Crescenzo schreibt in seiner „Geschichte der griechischen Philosophie“: „Auch Euripides und Perikles lehnten es stets ab, in Gesellschaft zu trinken und an Festgelagen teilzunehmen, weil sie fürchteten, mit einem Lächeln auf den Lippen erwischt zu werden. Aber diese Abneigung gegen das Lachen ist heute noch sehr verbreitet. Man braucht sich nur einmal das Verhalten der Intellektuellen anzusehen, wenn sie im Fernsehen interviewt werden (…). Zum Glück gibt es auch hin und wieder Leute wie Einstein oder Bertrand Russell, und der Himmel der Kultur färbt sich wieder blau.“

jürgen schiller
Fotos: Bruno Pellegrini

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