Ein Land wie das Fegefeuer
„Zugang zum Internet, und zwar sofort“, fordert Kubas bekanntester Schriftsteller für seine Landsleute. Leonardo Padura erklärt im Interview mit SZ.de, wieso die Jugend den Glauben an die sozialistische Revolution verloren hat und warum das Bild des Westens von Kuba weiterhin voller Klischees ist.
Von Karin Janker und Matthias Kolb
Leonardo Padura Fuentes ist der international beliebteste Schriftsteller des heutigen Kubas. Bekannt wurde er durch den Roman-Zyklus „Havanna Quartett“, in dem der Polizist Mario Conde Verbrechen im sozialistischen Kuba aufklärt. Der 1955 geborene Padura wohnt noch immer in dem Viertel seiner Kindheit in der Hauptstadt Havanna und beobachtet die sozialen und wirtschaftlichen Umbrüche seiner Heimat genau. Padura nimmt eine besondere Position ein: Er ist nicht Dissident, aber auch nicht regimetreu. Soeben ist im Unionsverlag sein neuer Roman „Ketzer“ erschienen.
SZ.de: Señor Padura, Sie haben einmal gesagt, dass Sie die Chronik des kubanischen Alltags verfassen wollen. Warum schreiben Sie dann ausgerechnet Kriminalromane?
Leonardo Padura: Ich schreibe Krimis, weil ich solche Geschichten selbst gern lese. Krimis haben eine geordnete Struktur und am Ende gibt es eine Auflösung. Aber in den Achtzigern haben sich Kriminalromane weiter entwickelt: Die Formen wurden flexibler, das Interesse richtet sich nun mehr auf die Gesellschaft. Es geht nicht mehr um das ‚Wer?‘, sondern um das ‚Wie?‘. Damals habe ich begonnen, solche Krimis über Kuba zu schreiben.
Ihre Bücher erzählen von Korruption, Armut und sozialen Problemen. Ein Artikel des New Yorker zitiert Sie so: „Die Leute denken immer, dass ich der Maßstab dafür bin, was man in Kuba sagen darf und was nicht.“ Stimmt das denn?
Ich sage zuhause in Kuba nichts anderes als im Ausland. Ich bin kein Lieblingsschriftsteller des Systems und es wäre viel zu riskant quasi zwei Sprachen zu sprechen. Meine Bücher erscheinen bei einem spanischen Verlag, aber sie werden genau so auch in Kuba veröffentlicht.
In Ihrem neuen Roman nennen Sie Kuba „ein verlottertes, abgewirtschaftetes Land“. Ist es mit der Zeit einfacher geworden, sich kritisch zu äußern? Oder gibt es noch immer Grenzen, die ein Autor nicht überschreiten darf – etwa Vorwürfe an Fidel und Raul Castro zu richten?
Im Allgemeinen versuchen die Schriftsteller in Kuba, ihren Spielraum mehr und mehr auszuweiten und was die Toleranz angeht, die Decke nach oben zu drücken. Wir haben also zunehmend klarer geschrieben und einen besseren Weg gefunden, durch Literatur Kritik zu üben. Selbstzensur gibt es bei mir nicht mehr, doch selbstverständlich muss man recht genau überlegen, wie man formuliert. Aber dieses Problem gibt es in jeder Gesellschaft.
Mario Conde, die Hauptfigur in Ihren Büchern, ist Mitte 50 und gehört zur „verlorenen Generation“ Kubas. Er war zu Zeiten der Revolution zu jung, um mitzukämpfen und nun von diesem Heldenstatus zu profitieren. Die jüngeren Kubaner schildern Sie ganz anders: „desinteressiert an Politik, den vielfältigen Genüssen des Lebens zugewandt und mit einer nutzerorientierten Moral ausgestattet“.
Diese Unterschiede zwischen den Generationen gibt es überall, aber in Kuba sind sie sehr deutlich. Gerade die neunziger Jahre, die Zeit des „periodo especial“, waren entscheidend. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR gab es auf Kuba keinen Strom, kein Essen und keine Verkehrsmittel. Es spielt eine Rolle, ob man so etwas als Kind oder als Erwachsener erlebt. Meine Generation, die auch die von Conde ist, hat damals noch an etwas geglaubt. Die heutige Generation besteht aus Ketzern, die an gar nichts mehr glauben. In meinem neuen Roman gibt es drei Protagonisten, deren Leben jeweils 20 Jahre auseinander liegen. Die Umstände haben sie zu ganz unterschiedlichen Persönlichkeiten geformt.
Wie lebt die heutige Jugend auf Kuba?
Ich selbst habe keine Kinder, deswegen fällt es mir nicht leicht, mich in die Jugend hineinzudenken. Ich habe die Figur der 18-jährigen Judith geschaffen, weil ich jemand brauchte, der diese Generation verkörpert. Ich weiß, dass sich die Jungen auch zusammenschließen, heute auf der Calle G in Havanna. Was viele nicht wissen: Auf Kuba gibt es Punks, Skater, Emos, Rastaleute und Freaks. Sie alle haben die Nase voll von der Revolutionsrhetorik und wünschen sich nur eins: Freiheit! Freiheit! Freiheit! Das sind die modernen Ketzer, um die es in meinem Roman geht.
Auf Kuba ist es sehr schwierig und extrem teuer, ins Internet zu gehen. Warum ist das so, wovor hat die Regierung Angst?
Bei meiner Ankunft hier im Hotel in München hat das Internet auch stundenlang nicht funktioniert. Aber Spaß beiseite: Diese Entwicklung muss kommen, es gibt keine Alternative. In der heutigen Zeit ist ein Leben ohne Internet nicht möglich, die Leute müssen Zugang bekommen. Und zwar jetzt. Ansonsten fällt die kubanische Gesellschaft zurück. Die Regierung irrt, wenn sie das Internet nur als politisches Informationsmittel sieht. Die ganze Gesellschaft existiert durch das Internet: Man verliebt sich übers Netz, man kauft im Netz ein – es fehlt nur noch, dass man echten Sex übers Internet hat.
Was denken Sie über Facebook, Twitter und Co? Halten Sie diese Plattformen für geeignet, um sich kritisch oder auch künstlerisch auszudrücken?
Die jungen Kubaner nutzen alle diese neuen Sachen. Aber jede Generation erlebt ihre Zeit anders. Mario Conde weiß nicht, wie man ein Handy bedient, weil er nie Zugang zu einem Mobiltelefon hatte, aber natürlich kann das jeder Kubaner heute. Bei mir ist es ähnlich: Ich nutze Facebook nicht, ich will nicht tweeten und habe auch keinen Blog.
Auf Kuba reden zurzeit alle über „cuenta propista“, die neue Möglichkeit für Kubaner, als selbstständige Unternehmer zu arbeiten. Die Bürger können nun auch Wohnungen und Autos kaufen. Zugleich wirkt der Alltag in Havanna sehr rau, die Menschen scheinen ständig auf der Suche nach Dollars und Devisen zu sein.
Die Leute reagieren auf die Gesellschaft, die sie umgibt. Die Menschen sind nicht aggressiver geworden – in den Neunzigern war es schlimmer, als es am Nötigsten fehlte. Wenn die Gesellschaft heute aggressiver wirkt, dann eher, weil die Leute nach einem Platz suchen, von dem aus sie sich entwickeln können. Doch dieser Raum ist auf Kuba begrenzt. Wenn Sie zwei Boxer in den Ring stellen, dann kämpfen die. Heute stehen aber 20 Boxer im Ring, es gibt noch keine klaren Regeln und so entsteht diese gewisse Aggressivität.
Es sind besonders die jungen Leute, die nach Chancen suchen. Ingenieure, Ärzte oder Computer-Experten arbeiten nun als Kellner oder reparieren Handys, weil sie so mehr verdienen als in ihrem eigentlichen Beruf.
Viele junge Kubaner haben eine gute Ausbildung, die sich in der Heimat aber nicht auszahlt. Sie sehen die einzige Möglichkeit darin, Kuba zu verlassen. Das ist risikoreich, denn man kann natürlich auch im Ausland scheitern – das gibt es in der Kunst, im Sport, in der Wirtschaft und in der Wissenschaft. Ich finde, jeder sollte die Freiheit haben, das Beste aus seinem Leben zu machen.
Kuba wird als Reiseziel für Europäer und Kanadier immer populärer. Freut es Sie, dass die Menschen sich für Ihr Heimatland interessieren?
Viele Touristen meinen schon vorher zu wissen, wie Kuba ist. Es gibt Kubaner, die sich für das Internet interessieren, und solche, denen das egal ist. Einige glauben an Gott, andere an den Kommunismus und manchen ist beides egal. Was gerade in meinem Land passiert, ist nicht mit Klischees zu beschreiben. Durch die politische und wirtschaftliche Öffnung ist Kuba extrem komplex und widersprüchlich geworden. Kuba ist weder das romantische Paradies, das naive Linke sehen wollen, noch die kommunistische Hölle, vor der die Rechte immer warnt. Kuba ist eher das Fegefeuer.
Warum das Fegefeuer?
Dort landen weder richtig schlimme Sünder noch Heilige. So sehe ich uns Kubaner.