Der Anspruch ist gewaltig. Herkules stemmt Worte. ‚Wir verstehen uns als ein modernes Restaurant, in dem das Thema Gourmet vollkommen neu interpretiert wird‘, schreibt der Chef vom Restaurant ‚Glass‘, Gal Ben Moshe, auf der Webseite. Also nichts Geringeres, als die Quadratur des Kreises zu finden. Machen wir die Probe aufs Exempel. Das Innere des Restaurants ist schon mal die erste Zerreißprobe: einige sprechen von schmucklosem Glaskasten, Werkskantine – andere von einem visionären Wohnzimmer. Auf keinen Fall eine Atmosphäre zum Genusskuscheln. Lichtskulpturen, Rohre an Betondecke, schwarz und weiß, Glas und Metall, ein großer Vorhang aus metallischem Polyester. Hier zeigt sich die Philosophie des Chefs, sein Denken, seine Kultur, sein Kunstverständnis. Die Kulinarik ist die logische Fortsetzung mit einem ungewöhnlichen Spiel der 5 Geschmacksrichtungen: süß, sauer, salzig, bitter und umami, dem vollmundigen Geschmack. Gaumen, Zunge, Hirn und Magen im Taumel von Gewürzen, Texturen, Verbindungen, Kompositionen.
Ein Sojastick, hydriert über Nacht, mit einer Rapsöl Miso Majo. Käsecracker, gefüllt mit Gryere, Schweineschwarte, Speck, Ei, Bottarga. Falafel und griechischer Joghurt. Ein rasanter Eingangswirbel, dem zwei ungewöhnliche Grüße aus der Küche folgen.
In einer Eierschale das Eigelb, schaumiges Eiweiß, Apfel und Ahornsirup, abgerundet durch eine nordafrikanische Gewürzmischung. Eine kleine Weltreise in kleiner Schale. Dann die Bodenständigkeit. Ein kleines Weckglas präsentiert ein rauchiges Innenleben, wird der Deckel gelüftet, hebt sich der Nebel und gibt den Blick frei auf einen Waldspaziergang im Grunewald: Steinpilze, Steinpilzgelee, Rosmarin, Pinienkerne, Bronzefenchel – künstlerischer Waldboden – der Rauch vom Apfelbaum das Geschmacksspiel. Waldluft. Ein kulinarisches Denkmal für die grüne Lunge.
Waldorf
Der ‚Waldorf‘ Salat erlebt hier natürlich auch eine ungewöhnliche Veränderung, die ihn veredelt. Beim Klassiker zählen die Elemente: säuerlicher Apfel, roher Knollensellerie, Walnuss und Mayonnaise. Bei Moshe gibt es zwar auch Apfel und Sellerie, aber in anderer Konsistenz und Struktur. Außerdem ist die Form feinste Ästhetik. Kunst trifft Kulinarik. Weintrauben und Palmherzen sind die Überraschungsgäste. Die Palmherzen frisch, mit leichter salziger Komponente. Die Zartheit des Produktes geht dabei zwar etwas verloren, die Komposition aber ist gelungen.
Steinbutt
Und dann wieder das Salz, beim Steinbutt in gewaltigem Generalangriff. Der Fisch zart, schmelzend, aromatisch-Meersalzflocken – bis dahin gut – dann aber ein Sud mit orientalischer Salzzitrone, der dem Fisch nicht nur den Kampf ansagt, sondern seine Frische, seine gedämpfte Eleganz verschwinden lässt. Gaumenstreik ist angesagt. Dazu wieder eine ungewöhnliche Salat Form, ein Nicoise der Moderne mit den traditionellen Grundelementen Kartoffel, Olive, Tomate – aber auseinandergenommen und neu zusammengestellt. Gelungen.
Rehbock
Der Rehbock, feinste Qualität, zart, butterweich, tummelte sich sichtlich wohl im Umfeld seiner Begleitung: Sellerie pur, gebratene Feigen und eine Mole mit Sauerkirsche und Heidelbeere. Geschmackskomponenten, die nichts überlagerten, nichts dominierten. Harmonie pur.
Cheese Cake
Beim Dessert eine gelungene neue Form des ‚Cheese Cake‘ aus Ziegenkäse, einer raffinierten Variante des französischen Buttergebäcks ‚Sablès‘ mit Pistazien – dazu Lavendel Gel, Lavendel Puder, rote Bete Coulis. Frische, Eleganz, vollmundig.
Gal Ben Moshe verzaubert den Gaumen, die Geschmacksnerven, strapaziert sie, schafft ungewöhnliche Begegnungen. Die Quadratur des Kreises findet auch er nicht – dafür aber gelungene Kochkunst auf hohem Niveau.