Wenn es um die Frage geht, ob die Berliner Philharmoniker künftig vom Bund übernommen werden oder lieber weiterhin eine vom Berliner Senat getragene Institution bleiben sollen, dann schauen die 124 Musikerinnen und Musiker wohl zuerst einmal auf ihre Gehaltszettel. Und dann auf die der anderen bundesrepublikanischen Spitzenorchester.
Der Abstand zu den Klangkörpern der Rundfunkanstalten oder auch zur Sächsischen Staatskapelle in Dresden, stellen sie dann fest, ist gar nicht so groß, wie es aus ihrer Sicht wünschenswert wäre. Weil die Zukunftsfähigkeit des Orchesters, so glauben viele, nicht nur von der künstlerischen Qualität ihrer Auftritte abhängt, sondern ganz wesentlich auch von der Höhe der Gehälter. Die größten Talente, die hochmotiviert und bestens ausgebildet die Hochschulen verlassen, achten bei der Wahl ihres künftigen Arbeitsplatzes nämlich ganz genau darauf, was es wo zu verdienen gibt, so ihr Argument. Um weiterhin die Besten der Besten rekrutieren zu können, bedürfe das Gehaltsniveau des Orchesters dringend einer Anpassung nach oben, darauf hat Intendant Martin Hoffmann wiederholt hingewiesen. Denn der Wettbewerb funktioniert ja weltweit: Ziemliche Traumgagen zahlen beispielsweise die Big Five der US-Orchester.
Klassikprofis stehen unter dem Druck, bis zum 35. Lebensjahr ihre Traumstelle ergattern zu müssen. Nach einem ungeschriebenen Gesetz der Branche werden ältere Bewerber normalerweise nicht mehr genommen. De facto bleibt also ein Instrumentalist bis zur Rente 30 Jahre oder länger beim selben Orchester. Peter Brem, der mit 18 Jahren das Vorspiel für die Streichergruppe der Berliner Philharmoniker gewann und im Juni in Rente ging, brachte es sogar auf 46 Jahre.
Berechnet auf eine so lange Zeit, machen sich ein paar hundert Euro mehr pro Monat schon bemerkbar. Vor allem, wenn man zu Beginn der Laufbahn einen Kredit abzahlen muss, den man aufgenommen hat, um sein wertvolles – also kostspieliges – Instrument erwerben zu können.
Auch wenn es sich die Klassikliebhaber gerne idealistischer vorstellen: Selbst bei einer Topformation wie den Berliner Philharmonikern gilt Lessings Diktum, die Kunst geht nach Brot. Chefdirigenten kommen und gehen, die Lebenshaltungskosten bleiben. Und gemessen am globalen Renommee der Truppe sind jene 7000 Euro Grundgehalt, die den Philharmonikern ausgezahlt werden, nicht übertrieben. Die Musiker stehen permanent unter weltweiter Beobachtung, müssen bei jedem Auftritt ihre Extraklasse unter Beweis stellen – vor allem, seit sich das Orchester selbst seine Digital Concert Hall geschaffen hat, also jene Onlineplattform, auf der pro Saison Dutzende Konzerte als Livestream zu sehen sind. Kaum ein Orchester ist zudem derart häufig auf Tournee, kaum eines absolviert pro Spielzeit so viele Konzerte mit einem stilistisch derart weit gespannten Repertoire wie die Berliner.
Zu Zeiten von Karajan selig flossen üppige Tantiemen aus Plattenverkäufen. Heute, da sich mit CDs kaum noch Geld verdienen lässt, betreiben die Philharmoniker ihr eigenes Label, um unabhängig vom Profit wenigstens jene Projekte realisieren zu können, die ihnen am Herzen liegen. Kein anderes Orchester in Deutschland weist übrigens eine so gute Eigenfinanzierungsquote auf wie die Berliner Philharmoniker. Ihr Jahresetat liegt bei 43 Millionen Euro, 60 Prozent davon erwirtschaften sie selber.
Wenn jetzt der Bund offenbar Interesse signalisiert, im Zuge der Neuverhandlung des zum 31. Dezember 2017 auslaufenden Hauptstadtvertrags das Orchester zu übernehmen, dann kann das den Musikerinnen und Musikern nur recht sein. Denn gewiss werden sich nun viele Stimmen erheben, die Berlin und seine Philharmoniker für untrennbar erklären. Was es dem Orchester wiederum ermöglicht, dem Senat die Pistole auf die Brust zu setzen, nach dem Motto: Wenn ihr uns behalten wollt, müsst ihr mehr zahlen.
Das hat jedenfalls schon früher gut funktioniert. Ende der neunziger Jahre hatte der Bund eine Übernahme des Prestigeensembles angeboten. Aber der Senat wollte die Philharmoniker nicht herausrücken. Seit es den Job des Kulturstaatsministers gibt, wird auf nationaler Ebene immer wieder für die Entlastung des Berliner Kulturetats gesorgt. So gingen beispielsweise die Akademie der Künste und das Filmmuseum in die Obhut des Bundes über, damit Berlin seine drei Opern bezahlen kann.
Infolge der ersten Philharmonie-Begehrlichkeiten seitens des Bundes kam es damals immerhin zur Umwandlung der „nachgeordneten Einrichtung des Landes“ in die „ Stiftung Berliner Philharmoniker“, die viel selbstbestimmter agieren kann. Simon Rattle hatte die neue Rechtsform zur Bedingung für seine Vertragsunterzeichnung gemacht. 18 Monate zogen sich die Verhandlungen hin, bis zur Vertragsunterzeichnung im September 2001 – und am Ende sprang auch noch eine Gehaltserhöhung von fast 1000 Euro für jeden Philharmoniker heraus. Allerdings musste das klamme Berlin zu einer Notlösung greifen, um das Geld aufzubringen: Aus dem eigentlich gar nicht für die Unterstützung von Institutionen vorgesehenen Topf der Lottomittel wurden dauerhaft 1,14 Millionen Euro abgezweigt. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
2007 war es dann eine gewisse Monika Grütters, die in ihrer damaligen Funktion als Kulturobfrau der CDU-Bundestagsfraktion die Frage erneut aufwarf und in einem Tagesspiegel-Beitrag erklärte: „Die Krönung des Bundesengagements in Berlin aber könnte die Übernahme der Stiftung Berliner Philharmoniker sein.“ Ein Ansinnen, das abermals von Berliner Seite zurückgewiesen wurde, diesmal aber auch von Grütters’ Parteikollege, dem damaligen Kulturstaatsminister Bernd Neumann. Stattdessen spendierte der Bund 200 Millionen Euro für die Sanierung der Staatsoper Unter den Linden.
Zuletzt warb der Anwalt und Kunstförderer Peter Raue im Tagesspiegel für die Bundeslösung: „Keine Institution in Berlin hat eine solche Strahlkraft – nicht nur in ganz Deutschland, sondern weltweit – wie die Berliner Philharmoniker. Die oft erhobene Forderung, die Berliner Philharmoniker in die Obhut des Bundes zu geben, kann ich nur nachdrücklich erneuern und einfordern“, schrieb er 2014. Die Argumentation, Berlin dürfe sich nicht von seinem kostbarsten Tafelsilber trennen, nannte Raue „provinziell“. Wie die Berliner Festspiele oder die Akademie der Künste seien die Philharmoniker ein geradezu klassisches Beispiel für die Repräsentation des Gesamtstaates in der Hauptstadt.