Nicht dass Klaus Lederer keine Zeit hätte. Zwar hat Berlins neuer Kultursenator hat alle Hände voll zu tun, er muss erstmal ankommen, mit den Referatsleitern reden, die vielen Medienanfragen bedienen. Aber er hat es schon geschafft, sich mit Kulturstaatsministerin Monika Grütters zu treffen, auch mit dem Vorstand des Staatsballetts saß er bereits zusammen, wegen des Streits um die künftige Tanzdoppelspitze Sasha Waltz und Johannes Öhman. Ohren aufsperren, Ängste ernst nehmen, Moderationsprozesse in Gang setzen, lautet seine Devise.
Nur bei der wichtigsten Berliner Kulturpersonalie, bei Chris Dercon, da hakt es. Man ist verabredet, aber es klappt bisher nicht. „Mit Chris Dercon sind wir auf Terminsuche“, sagt Lederer am Montag in seinem weiträumigen Büro in der Brunnenstraße. Er sagt es nicht zum ersten Mal seit seinem Amtsantritt am 8. Dezember. Seltsam, wo Dercon doch in der Stadt weilt (siehe Interview S. 27).
Lederer wiederholt noch einmal, was er zum größten Berliner Kulturstreit zu sagen hat. Dass er die Irritation versteht, die er mit seiner Äußerung ausgelöst hat, den Vertrag des Castorf-Nachfolgers an der Volksbühne überprüfen zu wollen. Und dass es gleichzeitig nur konsequent sei, wenn er nicht nach der Wahl etwas anderes erzählt als davor. „Es geht nicht um Romantik“,so der 42-Jährige, „ sondern um die Frage, wie ein Theaterorganismus beschaffen sein soll. Ich würde nie bestreiten, dass ein Intendantenwechsel auch mit Brüchen verbunden ist. Aber soll ein Haus große Namen einkaufen, die drei Mal spielen und wieder gehen?“
Der Kulturpolitiker der Linken, der zweite nach Thomas Flierl (2002 – 2006), er redet schnell, strahlt Tatkraft aus und eine produktive Ungeduld. Er scheut den Disput nicht, wenn man ihm entgegnet, dass er mit dem Bild von der Volksbühne als Durchlauferhitzer weniger ein Dercon-Schreckensszenario skizziert als die derzeitige Castorf-Realität mit Gaststars wie Martin Wuttke oder Herbert Fritsch.
Noch hat er Dercon nicht einmal angerufen
„Es ist eine nicht ganz einfache Situation“, so Lederer. Umso erstaunlicher, dass es dauert mit dem Dercon-Treff, dass er ihn nicht längst aufgesucht, ihn nicht wenigstens telefonisch behelligt hat. Das rote Telefon, ein Geschenk vom LinkenParteitag, steht auf dem Schreibtisch. Wo er sich doch ein eigenes Bild von dem machen möchte, was Dercon und Programmleiterin Marietta Piekenbrock sich vorstellen. „Obwohl ich mich intensiv mit ihren bisher kommunizierten Plänen befasst habe, ist mir da vieles noch nicht klar.“ Bei Oliver Reese als Peymann-Nachfolger am Berliner Ensemble sei das anders als bei einem Museumsmann, der aus der Tate Modern in London ans Theater wechselt: „Reese hat ein Profil, macht in Frankfurt Überzeugendes. Da entspannt zu gucken, was er plant, ist einfacher.“
War die Causa Dercon Thema bei den Koalitionsverhandlungen? „Im Koalitionspapier steht das, worüber man sich einig ist. Nicht, worüber man sich nicht einig ist.“ Wie bitte, der Elefant im Berliner Kulturraum, das dickste Ding seit Jahren blieb einfach stehen zwischen ihm und dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller, der Dercons Vertrag unterzeichnet hat? „Kulturpolitik“, kontert Lederer, „ist nicht zuletzt Moderation und Kommunikation. Da kann man nicht in Koalitionsverhandlungen mal eben über das Schicksal von Institutionen wie der Volksbühne oder des Staatsballetts entscheiden.“ Dass er in einem Dilemma steckt, weil er mit Auflösung oder Beibehalten des Dercon-Vertrags entweder seinem Chef oder seinen Wählern in den Rücken fällt, nimmt Lederer in Kauf. „In der Politik steckt man manchmal in einem Dilemma.“ Ein weiterer Knackpunkt: Dercon wurden für die Vorbereitungszeit 2016/2017 zusätzliche drei Millionen Euro bewilligt, Geld, das die rot-rot-grüne Koalition kaum verstetigen wird. Sollte Dercon sein Amt im Herbst antreten, wird er 2018 wieder mit weniger klarkommen müssen – schon weil die Konkurrenz von der Schaubühne bis zum Gorki-Theater dem Kultursenator aufs Dach anderenfalls aufs Dach steigt.
Bei der Personalpolitik verspricht Lederer mehr Transparenz. Und die gebotene Diskretion bei Besetzungsfragen? „Ich fordere ja keine Urwahl von Intendanten. Ich möchte allerdings auch nicht, dass Amtsinhaber aus der Zeitung erfahren, dass sie nächstes Jahr nicht mehr da sind und wer als nächstes kommt. Frank Castorf wurde seine Nachfolge quasi ex catedra verkündet.“ Das geht nun deutlich gegen den Regierenden. Lederer stellt es sich so vor: „Miteinander reden, ausloten, was die profilbildenden Momente eines Hauses sind, vielleicht auch Findungskommissionen berufen.“ Mal sehen, ob er es bei den Chefdirigentenposten in der Komischen Oper und im Konzerthaus so handhaben wird.
Die schnöde Wirklichkeit und die Vision. Es passt gut, dass Lederer die Bilder von Staatssekretär Tim Renner erstmal in seinem Büro belässt. An den Wänden hängen futuristische Fotocollagen von Dieter Urbach, Alex und Umgebung, 70er Jahre – Retro und Science-Fiction zugleich. Eine Leihgabe der Berlinischen Galerie, sie steht jedem Landeskulturpolitiker zu.
Im Koalitionsvertrag ist auf den acht Seiten zur Kulturpolitik vor allem von mehr kultureller Bildung und Partizipation die Rede. Auf dem Wunschzettel stehen zudem die Stärkung der Freien Szene, eine auskömmlichere Bezahlung von Künstlern, von Kinder- und Jugendtheater. Auch die Rettung der Kudamm-Bühnen hat Lederer schon in Aussicht gestellt. Wer soll das bezahlen, läuft sich der Kultursenator jetzt für die Haushaltsverhandlungen im Frühjahr warm?
Die Kolonnaden am Humboldt-Forum sind für ihn eine „fragwürdige historisierende Traditionslinie“
„Es wird nicht ab sofort Milch und Honig fließen, aber wir werden hier vorwärts kommen“, versichert der gelernte Jurist. „Wenn wir mehr Bezirkskultur wollen und mehr kulturelle Bildung, erfordert das keine exorbitanten Summen. Da kann man mit wenig Geld eine Menge Effekt erzielen.“ Auch bei der besseren Absicherung für die Kreativen rechnet er nicht mit Riesensummen. „Als Koalition haben wir uns darauf verständigt, den Bezirken 60 Millionen Euro mehr zu geben. Das schließt auch ein, dass wir bei Bibliotheken, Musik- oder Jugendkunstschulen Mindeststandards herstellen können.“
Dann ist da ja noch das Geld vom Bund: Mit Grütters, die er sehr schätzt, will Lederer noch genauer über den Hauptstadtkulturvertrag verhandeln. „Es geht nicht darum, dass wir etwas fordern und der Bund muss liefern, weshalb ich mit der Zwischenüberschrift in der Koalitionsvereinbarung – ,Bund für die Hauptstadtkultur in die Pflicht nehmen‘ – nicht so glücklich war. Wir wollen uns einvernehmlich verständigen,“ da ist Lederer zuversichtlich.
Was die zusätzlich bereitgestellten Berlin-Gelder seitens der Bundeshaushälter betrifft, zeigt er sich hingegen verärgert. „Es kann ja wohl nicht sein, dass Berlin sich von Bereinigungssitzungen zum Bundeshaushalt mal eben seine Investitionspolitik oder die kulturpolitische Linie vorschreiben lässt.“ Nichts gegen die 62 Millionen Euro für Schinkels Bauakademie – deren Rekonstruktion wird in Berlin seit Jahren gefordert. Die ebenfalls von den Haushältern vorfinanzierten Kolonnaden nennt er dagegen „eine fragwürdige historisierende Traditionslinie“. Und bei der Alten Münze freut sich Lederer, dass sie mit Bundeshilfe endlich saniert werden kann. Aber ob sie das House of Jazz beherbergen wird oder etwas anderes, will er sich nicht vorschreiben lassen. „Eine Konzeptvorgabe akzeptieren wir nicht.“
Die Historische Mitte, das Kulturforum: Der Bund prescht dort immer wieder vor, wo Berlin zentrale Stadtgestaltungsaufgaben verschleppt. Wird er das an sich ziehen, wie den Denkmalschutz oder die Mode? Nein, meint Lederer, die Diskussion über die Platzgestaltung rund um das künftige Museum des 20. Jahrhunderts und ums Humboldt-Forum überlässt er der Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher. Schade, die Ungeduld eines Klaus Lederer täte gut an diesen Orten. Aber jetzt fährt er erstmal zwei Wochen in Urlaub, allen Baustellen und Chris-Dercon-Terminsuchen zum Trotz.