Deutsche Oper Berlin 2017/2018

Generalmusikdirektor Donald Runnicles Intendant Dietmar Schwarz foto: jschi

Die Jahrespressekonferenz der Deutschen Oper Berlin war wieder einmal Spiegelbild eines erfolgreichen Hauses: wertvoll, gelassen, informativ, geprägt vom Team Geist.   Mit der ersten Premiere der Saison 2017/18 kehrt Aribert Reimann an sein Berliner Stammhaus zurück: Am 8. Oktober feiert L’INVISIBLE(DER UNSICHTBARE), dessen Libretto Reimann selbst nach drei Maurice-Maeterlinck-Kurzdramen eingerichtet hat, Uraufführung an der Deutschen Oper Berlin. Damit entsteht ein fünftes Werk Reimanns für das Haus an der Bismarckstraße, zuletzt hatte er hier mit DAS SCHLOSS einen phänomenalen Erfolg. Die musikalische Leitung übernimmt Generalmusikdirektor Donald Runnicles, der bereits beim Musikfest-Konzert 2014 Reimanns „Drei Lieder für Sopran und Orchester nach Gedichten von Edgar Allan Poe“ mit Laura Aikin zur Aufführung gebracht hat. Mit Vasily Barkhatov übernimmt einer der interessantesten russischen Regisseure der jungen Generation die szenische Leitung. 

Die Abenddämmerung bricht herein, und in dieser Stunde des Übergangs zwischen Tag und Nacht hat sich die Familie im Salon des Hauses versammelt. Der Vater mit den drei Töchtern, der Bruder und der fast blinde Vater seiner Frau. Diese liegt im Nachbarraum, seit Tagen im Kindbett mit dem Tod ringend, während in einem anderen Nebenzimmer das Neugeborene schläft. Die Familie erwartet die Ankunft der Schwester des Vaters. In dieser Situation scheint sich jemand dem Haus zu nähern, der blinde Großvater hört schließlich Schritte auf der Treppe. Doch es ist niemand zu sehen. Da kommt die Krankenpflegerin herein und berichtet vom Tod der Mutter.

Maurice Maeterlincks Kurzdrama „Der Eindringling“ gehört zu den zehn zwischen 1889 und 1901 entstandenen frühen Stücken des belgischen Symbolisten, in denen das Ausgeliefertsein und die Hilflosigkeit des Einzelnen gegenüber der Unausweichlichkeit des Todes sowie das Ein- brechen des Unheimlichen, Nicht-Beherrschbaren in die Realität des All- tags durchgespielt werden. Dabei werden Räume geschaffen, die zugleich bürgerlicher Salon und Märchenschloss, Realität und symbolistisch aufge- ladene Traum- und Alptraumwelten sind. Ausgangspunkt dieser Wirklichkeiten ist dabei jedoch – in unterschiedlichsten Konstellationen – die Familie, in der inmitten von Alltagskonversation die Abgründe von Angst  und Trauer, Grauen und Hilflosigkeit angesichts des Unausweichlichen verhandelt werden.

„Der Eindringling“ sowie „Interieur“ und „Tintagiles Tod“, zwei weitere der frühen Maeterlinck-Dramen, bilden die Grundlage für Aribert Reimanns neue Oper. Damit greift er hier, nach zuletzt BERNARDA ALBAS  HAUS (UA 2010 an der Bayerischen Staatsoper) sowie MEDEA (UA 2010 an der Wiener Staatsoper), ein weiteres Mal auf einen Theatertext der Weltliteratur zurück, den er als sein eigener Librettist für die Vertonung  einrichtet.

Zugleich kehrt er für diese Uraufführung an sein Stammhaus zurück, die Deutsche Oper Berlin. Hier hatte er direkt nach dem Abitur seine  erste Stelle als Korrepetitor, und mit den Opern MELUSINE (1970), DIE GESPENSTERSONATE (1984) und DAS SCHLOSS (1992) sowie  dem Ballett DIE VOGELSCHEUCHEN (1970) entstanden vier seiner Bühnenwerke als Auftragswerke des Hauses, bevor nun mit L’INVISIBLE seine

neunte Oper hier zur Uraufführung kommen wird.

Die Regie liegt in den Händen von Vasily Barkhatov, der sich in den letzten Jahren als einer der interessantesten russischen Regisseure seiner Generation einen Namen gemacht hat. Mit einer ganzen Reihe von Inszenierungen sowohl am Moskauer Bolschoi Theater als auch am Mariinskij Theater St. Petersburg hat er sich an den beiden wichtigsten Opernhäusern Russlands profiliert. Im deutschsprachigen Raum arbeitete er bereits an den Opern in Mannheim, Basel und Wiesbaden – u. a. DIE SOLDATEN von Bernd Alois Zimmermann und Tschaikowskys EUGEN ONEGIN. Mit L’INVISIBLE gibt er nun sein Debüt im Haus an der  Bismarckstraße.

Die zweite Premiere der Saison am 26. November schließt den 2014 begonnenen Meyerbeer-Zyklus ab: Olivier Py, der bereits mit seiner Sicht auf LES HUGUENOTS am Théâtre La Monnaie in Brüssel (2011) seine glückliche Hand für Meyerbeer bewiesen hat, wird LE PROPHETE (DER PROPHET) in Szene setzen und sich damit erstmalig in Berlin als Opernregisseur vorstellen. Die musikalische Leitung übernimmt – wie auch schon bei DINORAH und VASCO DA GAMA – Enrique Mazzola.

 

An der Erneuerung des Kernrepertoires wird auch in der Saison 2017/18 weitergearbeitet: Mit CARMEN (Premiere: 20. Januar 2018) widmet sich der für seine bildstarken Inszenierungen bekannte – in Berlin zuletzt Schostakowitschs LADY MACBETH VON MZENSK – Norweger Ole Anders Tandberg Bizets Meisterwerk. Am Pult steht der Generalmusik­direktor der Staatsoper Hannover Ivan Repušić, die Titelpartie übernimmt Clémentine Margaine, flankiert von Charles Castronovo als Don José und Markus Brück als Escamillo.

Die Premiere von Erich Wolfgang Korngolds DAS WUNDER DER HELIANE (18. März 2018) dürfte in der Lesart von Marc Albrecht und Christof Loy das lange aus dem Repertoire verschwundene „Meisterwerk“, wie der Komponist selbst es nannte, zurück ins Bewusstsein der Opernwelt bringen. Die Hamburger Uraufführung mit ihrer riesigen Orchesterbesetzung sowie ihren rauschhaften Harmonien war 1927 ein großer Erfolg, auch im Haus an der Bismarckstraße wurde es unter Bruno Walter schnell nachgespielt.

Für seine vierte Regiearbeit an der Deutschen Oper Berlin wählte Christof Loy gemeinsam mit Marc Albrecht ein Werk, das bis heute einer Wieder- entdeckung und Rehabilitierung harrt: Erich Wolfgang Korngolds DAS WUNDER DER HELIANE, das der Komponist selbst als sein „Meisterwerk“ bezeichnete und das nach einer erfolgreichen Uraufführung in  Hamburg

1927 bereits ein Jahr später an zahlreichen Bühnen gespielt wurde, auch an der Deutschen Oper Berlin unter Bruno Walter (damals „Städtische  Oper Berlin“). Doch das Werk fiel durch, wohl auch wegen intriganter Versuche des Vaters Julius Korngold, einer der wichtigsten und problematischsten Musikkritiker der Zeit. Schnell verschwand DAS WUNDER DER HELIANE wieder von den Spielplänen, die spätromantische Partitur fand  bei der Opern-Avantgarde kein Lob. Und das bald folgende Aufführungs- verbot des Juden Korngold tat sein Übriges: DAS WUNDER DER  HELIANE mit seinen hochexpressiven Harmonien wurde bis zum heutigen Tag nicht rehabilitiert, daran konnten auch die wenigen Aufführungen in Gent 1970 und Bielefeld 1988 nichts ändern.

Grundlage für DAS WUNDER DER HELIANE ist das Mysterienspiel „Die Heilige“ des 1919 mit 24 Jahren verstorbenen österreichischen Expressionisten Hans Kaltneker. Der Text gilt als verschollen, überliefert ist nur das Libretto zu Korngolds HELIANE, das Figuren und Motive von Kaltneker verdichtet in einer Geschichte über den Konflikt zwischen Körper und Seele, Geist und Sexualität:

Ein eiskalter Herrscher ohne Liebesfähigkeit, dessen Frau Heliane und ein dionysischer Fremder stehen im Zentrum dieser märchenhaften Dreiecksgeschichte, in der alle auf ein erlösendes Wunder warten und ihre  Hoffnung auf den Fremden und Heliane setzen. Korngold schrieb dazu eine gewaltige Partitur mit großem Schlagwerk, fünf Tasteninstrumenten, üppig besetztem Orchester mit verschiedenen Ensembles hinter der Bühne so- wie höchsten Anforderungen an die Sänger. Expressiv und polytonal geschärft sind Korngolds Harmonien, dabei immer einer bis an die Grenzen gesteigerten Spätromantik verpflichtet.

Dirigent Marc Albrecht und die Deutsche Oper Berlin sind einander lange verbunden, nach spektakulären Produktionen wie Messiaens SAINT FRANCOIS D‘ASSISE und Janáčeks DIE SACHE MAKROPULOS schlägt er nun mit DAS WUNDER DER HELIANE ein neues Kapitel in der Zusammenarbeit auf. Auf Marc Albrechts Zeit als Erster Gastdirigent an  der Deutschen Oper Berlin 2001 bis 2004 folgte eine weltweite Karriere, die    ihn an die größten internationalen Opernhäuser von Mailand, Zürich, Bayreuth bis Amsterdam führte. Mehrfach arbeitete er dabei mit Regisseur Christof Loy zusammen, u. a. 2008 für DIE BASSARIDEN (München),  2009 für DER PRINZ VON HOMBURG (Theater an der Wien) und 2014 für ARABELLA in Amsterdam.

Christof Loy zählt zu den international gefragtesten Opern- und Schauspielregisseuren seiner Generation und arbeitet für DAS WUNDER DER HELIANE zum vierten Mal an der Deutschen Oper Berlin. Neben einer Neuinszenierung von Verdis FALSTAFF, einer umjubelten Uraufführung von Andrea Lorenzo Scartazzinis EDWARD II. gelang Loy im Haus an der Bismarckstraße ein triumphaler Erfolg 2012 mit der Regiearbeit von Janáčeks JENŮFA, die als DVD-Aufnahme den 2. Platz in der Kategorie „Best Opera Recording“ bei den Grammy Awards gewann und als Gastspiel nach Tokyo eingeladen wurde.

Die Partie der Heliane wird interpretiert von der US-amerikanischen Sopranistin Sara Jakubiak, die seit 2014 zum Ensemble der Oper Frankfurt gehört und an zahlreichen Opernhäusern gefragter Gast ist: Strauss‘ Daphne und Marietta aus DIE TOTE STADT an der Hamburgischen Staatsoper, Eva (DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG) an der Bayerischen Staatsoper, Elsa am Opernhaus Graz, Marie (WOZZECK) an der English National Opera London oder Agathe (DER FREISCHÜTZ) an der Semperoper Dresden.

Der Bassbariton Josef Wagner interpretiert die Partie des Herrschers, der Tenor Brian Jagde, an der Deutschen Oper Berlin gern gesehener Gast  als Don José oder Cavaradossi, übernimmt die Rolle des  Fremden.

Mit Johann Strauß‘ DIE FLEDERMAUS rückt nach langer Abstinenz am 28. April 2018 wieder eine Operette auf den Spielplan der Deutschen Oper Berlin: Für dieses Unternehmen werden Donald Runnicles und Rolando Villazón gemeinsam versuchen, der Leichtigkeit und dem Abgründigen des Tanzes auf dem Vulkan auf die Spur zu kommen. Als Rosalinde ist Annette Dasch zu erleben, als Gabriel von Eisenstein Thomas Blondelle und als Frosch Florian Teichtmeister.

Mit der letzten Premiere der Saison – Rossinis IL VIAGGIO A REIMS (DIE REISE NACH REIMS) – kann sich das exzellente Sängerensemble des Hauses in seiner enormen Vielseitigkeit auf höchstem Niveau vorstellen. Premiere ist am 15. Juni, am Pult steht der Belcanto- und Rossini-Spezialist Giacomo Sagripanti, Regie führt Jan Bosse.

Mit den zwei konzertanten Premieren von Francesco Cileas L’ARLESIANA (DAS MÄDCHEN AUS ARLES) am 21. Februar und Gaetano Donizettis MARIA STUARDA am28. Mai kehren zwei große Sängerstars zurück ans Haus an der Bismarckstraße: Joseph Calleja und Diana Damrau.

Die Tischlerei, die wegen Bauarbeiten zeitweise als Probebühne genutzt werden muss und deshalb nur eingeschränkt als Spielstätte zur Verfügung steht, zeigt ihre erste Premiere FRANKENSTEIN (nach Mary Shelley u. a.) in der Regie von Maximilian von Mayenburg am 30. Januar. Fortgesetzt wird die im letzten Jahr begonnene Zusammenarbeit mit der Münchener Biennale, mit der die Deutsche Oper Berlin im Juni 2018 das Musiktheater WIR AUS GLAS von Yasutaki Inamori in der Regie von David Hermann koproduziert. Daneben gibt es auch in der kommenden Saison wieder ein musiktheatrales Rechercheprojekt, in dem geflüchtete und Berliner Jugendliche Fragen der Herkunft musikalisch nachgehen.