Sie sind schon ein bisschen durchgeknallt, die Besitzer vom ‚Tulus Lotrek‘, ein bisschen sympathisch verrückt – zumindest verbal. Die Webseite bereitet schon mal vor:
‚An alle militanten Bacchanten, sich das Brett-Geber mit Fettleber, Gürtelweiterschnaller, Korkenknaller, liebe Alleswoller & Nichtsbereuer, wir sind das ‚tulus lotrek‘.
Ja, sie orientieren sich schon an den eigentlichen Namensgeber, Graf Toulouse- Lautrec, denn der war ja auch nicht nur mit Normalität gesegnet. Sein Leben, sein Verhalten, seine Bilder sprechen Bände. Wie fängt man ein Murmeltier? Der Graf weiß Rat. Man wartet an einem warmen Tag vor dessen Bau, bis das Tier vom Licht geblendet zum Sonnenbad hinauskommt, schnappt es sogleich, zieht es ab und bereitet es zu.
Ein altes Huhn bekommt man weich, indem man es so lange über das Feld hetzt, bis es vor Müdigkeit umfällt. Dann ist es zart genug für die Pfanne.
Toulouse -Lautrecs kulinarische Tipps sind zuweilen skurril.
Auch für Einladungen zu ausgefallenen Diners, bei denen er den Gästen vorgaukelte, das aufgetragene Fleisch stamme von Affen, war der Künstler berühmt.
In die Wasserkaraffen ließ er Goldfische setzen, damit man dankend auf solche Erfrischung verzichtete. Wasser sei schlecht für die Gesundheit, gab der notorische Trinker kund.
Der Mann, der stets eine Reibe und eine Muskatnuss bei sich trug, um den Portwein zu parfümieren und sich selbst als „gefräßig wie eine Prälatenkatze“ bezeichnete, war nicht nur ein begnadeter Künstler, sondern auch ein Gourmet.
Seine Großmutter soll einmal gesagt haben: Wenn meine Söhne eine Wildente töten, dann haben sie daran ein dreifaches Vergnügen: sie zu schießen, sie zu essen und – sie zu zeichnen. Und so nutzte auch Henri die künstlerisch gestalteten Mahlzeiten, um seine Gäste zu porträtieren und die kulinarischen Genüsse aufs Papier zu bringen.
Aber wer hätte gedacht, dass der leidenschaftliche Maler auch ein leidenschaftlicher Koch war? Maurice Joyant, Kunsthändler und treuer Lebensbegleiter Lautrecs, hat nach dem Tod seines Freundes die vielfältigen kulinarischen Variationen des Malers aufgeschrieben und somit für die Nachwelt erhalten.
Diese kulinarischen Werke bieten nicht nur Originalrezepte von Toulouse-Lautrec, sondern auch die Illustrationen des Meisters und sind somit Kochbuch und Kunstband in einem. Darin zeigt sich, dass Lautrec nicht nur in der Kunst seiner Zeit voraus war und ganz eigene Wege gegangen ist, sondern auch in der Gourmet-Küche mit neuen und originellen Kreationen aufwarten konnte.
Also ist das Team in der Fichtestrasse schon auf einem genial, leicht verrückt-skurrilem Weg.
Keine französische Küche, Elemente schon – aber sonst Eigenständigkeit, Frische Originalität, federleichte, interessante, moderne Küche. Eine Küche, die Spaß macht, die süchtig macht. Wer das Glück hat, wie wir, muss bei schönem Wetter die Terrasse nutzen. Hier weht ein Hauch von Monmartre durch die Fichtestrasse, hier sind die Tische eingedeckt, hier blickt man auf den Eingang zur Unterwelt, den Fichtebunker, hier hat man geistlichen Segen mit Blick auf die Kirche am Südstern, hier lebt der Traum unter alten Bäumen. Hier wird der Genuss zur Formel 1. Drinnen im Restaurant ist es eingedunkelt, herrschen Holztische ohne Linnen, gibt es keine Ablenkung vom Küchengenuss. Aber Draußen ist es einfach schön. Also: auf zum ungetrübten Genuss.
Hamachi
Die Gelbflossenmakrele ein Lehrbuchbeispiel für Frische und Zartheit, die begleitenden Komponenten eine Lautrecsche Skizze: geriebene Sojakristalle, Krustentiereistee, eine gefriergetrocknete Brombeere und als cremiger Tupfer: Radicchio in Verbene eingelegt – keine Bitterkeit, sondern zarter Zitrushauch. Schmelz am Gaumen. Sinne jubeln: ein ‚Haiku‘ mit Zartheit und Geschmack.
Saibling
Salz und Zucker geben die Grundbeize, sind ausgewogen, geben dem Fisch die nötige Struktur. Ein zarter Rauchton ist ein kleiner Geschmacksleuchtturm, dem sich Wasabirapsöl, gefriergetrocknete Himbeere, Rapsölemulsion, roh gehobelte Rote Bete anschließen. Die krosse Haut vom Saibling rundet perfekt ab. Erdigkeit macht sich zart breit, die Augen schwelgen in einer Farborgie in Rot und Orange.
Hirschkalb und Mole
Der Teller strahlt voller Harmonie. Es herrscht ein runder voller Einklang: der Hirsch kurz gebraten, zart – ein herrlich leichter Jus, eine faszinierende spanisch-mexikanische Ecke mit Mole, gebratenen pimientos de padron, gegrilltem Babymais, einer kalten und geräucherten Maismousseline und dem überraschenden Außenstürmer Pflaume. Ein wahres Feuerwerk an Aromen, ein gelungenes Spiel mit Konsistenzen und Texturen.
Die Abrundung eines faszinierenden Menüs: ein Käsegang der anderen, ganz besonderen Art: junger Ziegenfrischkäse, cremig und sanft, kein Wunder bei der Beilagen Wiese: Fichtensprossenrahmeis, Heidelbeersorbet, Met, Pumpernickelerde, Fichtensprossen und Fichtensprossenessig. Und dann ein süßes cremig, schaumiges Bett für ein Stachelbeerbaiser mit abgeflämmter Meringuemasse, trockene und gedörrte Elemente, ein Erdbeersorbet, eine Milchkefir-Ingwermousse und als himmlisch sanfter scharfer Flötenton: Jalapenjogel.
Das ‚Tulus Lotrek‘ ein Ort einfach nur zum Wohlfühlen. Die Küche von Max Strohe: eine Küche zum Reinbeißen – da schmeckt einfach etwas – eine klare verständliche Philosophie: es muss schmecken, da muss man nichts erklären.
Eine wunderschöne leichte moderne Küche mit eigener, verständlicher Handschrift – die Produkte sprechen für sich, lassen es einfach knallen – Harmonie ist da, was will man mehr.
Dazu kommt das Team um Ilona Scholl und Max Strohe, die einen Charme versprühen, der nicht aufgesetzt oder anbiedernd ist, sondern ganz einfach vom Herzen kommt. Gastfreundschaft pur.
Ein Abschiedsblick auf die Terrasse: auf der Schiefertafel steht ‚Batman would eat here‘ Ich bin Batman!!