Seine Arbeiten gehören zum Aufwühlendsten, Extremsten, was die europäische Theaterszene zu bieten hat: Jede Inszenierungen des argentinischen Regisseurs Rodrigo García, so beschreibt es der belgische Philosoph und Theaterkritiker Bruno Tackels, gleiche dem Versuch einer Antwort auf die Frage, wie eine Gesellschaft so zivilisiert, so poliert, aber gleichzeitig so barbarisch sein kann, dass sie keine Gelegenheit auslässt, ihre Grausamkeit unter Beweis zu stellen. Auch nach inzwischen über dreißig, meist auf eigenen Texten basierenden Theaterabenden ist García noch immer ein Regisseur, dessen Arbeiten polarisieren und der nicht nur seinen Darstellern, sondern auch dem Publikum alles abfordert.
Es ist nur konsequent, dass sich dieser Regie-Extremist für seine erste Opernarbeit dem Komponisten zuwendet, in dessen Werk tiefe Sinnlichkeit, Eleganz der Form und das Entsetzen über die Grausamkeit des Lebens untrennbar miteinander verbunden sind: Mit Mozarts DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL (Premiere am 17. Juni) hat sich García außerdem dasjenige Mozart-Werk ausgesucht, in dem diese Gegensätze am klarsten zutage treten: Bildete der Orient von tausendundeiner Nacht zu Mozarts Zeit die Projektionsfläche für die Fantasien von Erotik und Brutalität, so kann man von Rodrigo Garcías Theater erwarten, dass er Bilder für diese Abgründe und die Vitalität von Mozarts Musik finden wird, wie sie heutiger, leuchtkräftiger und verstörender nicht sein können. Musikalisch wird dieses Operndebüt von Generalmusikdirektor Donald Runnicles betreut, zu dessen Kernanliegen die Erarbeitung eines ebenso modernen wie historisch informierten Mozartstils mit dem Orchester der Deutschen Oper Berlin und einem jungen Sängerensemble gehört: Kathryn Lewek (Konstanze), Siobhan Stagg (Blonde), Matthew Newlin (Belmonte), James Kryshak (Pedrillo) und Tobias Kehrer (Osmin) sind in der Neuproduktion zu erleben.
Der Juni hat außerdem eine Reihe von Repertoirevorstellungen in herausragenden Besetzungen zu bieten: Nina Stemme und Stephen Gould gestalten in den TRISTAN UND ISOLDE-Vorstellungen am 5., 12. und 18. Juni die Titelpartien unter musikalischer Leitung von Donald Runnicles. Darüber hinaus ist Nina Stemme als Elektra am 23. und 26. Juni zu erleben, neben Adrianne Pieczonka als Chrysothemis und Waltraud Meier als Klytämnestra. Die Partie des Aegisth übernimmt Burkhard Ulrich, den Orest Albert Pesendorfer.
Adrianne Pieczonka ist außerdem als Floria Tosca am 9. und 15. Juni zu erleben, Mario Cavaradossi verkörpert Roberto Aronica und Scarpia Ambrogio Maestri.
Und – last but not least – freuen wir uns, dass in den RIGOLETTO-Vorstellungen am 24. und 30. Juni Olga Peretyatko die Partie der Gilda gestaltet, neben George Gagnidze in der Titelpartie und Bryan Hymel als Herzog von Mantua.
Als letzte Premiere vor der Sommerpause präsentiert die Deutsche Oper Berlin am 16. Juni in der Tischlerei das Auftragswerk UNDERLINE, das in Kooperation mit der Münchener Biennale für Neues Musiktheater entsteht. Inspirationsquelle für UNDERLINE war der 1884 verfasste Roman „Flatland“ des englischen Autors Edwin A. Abbott: ein satirischer Entwurf einer Gesellschaft, die in einer zweidimensionalen Fläche lebt und die Frage aufwirft nach dem Überschreiten der eigenen (Welt-)grenzen und der Möglichkeit eines Sprungs in andere Dimensionen, etwa von einem „Flächenland“ in ein dreidimensionales „Raumland“.
Hier knüpfen der Komponist und Klangkünstler Hugo Morales und der New Yorker Objektkünstler Deville Cohen in UNDERLINE an. Hugo Morales experimentiert häufig mit der Konstruktion außergewöhnlicher Klangmaschinen: Er sucht nach Übergängen vom Menschen zur Maschine und damit nach Grenzüberschreitungen und Erweiterungsmöglichkeiten des menschlichen Körpers. Zusammen mit Deville Cohen, der in seinen Arbeiten einen ganz eigenen Stil in der Kombination von Video, Animationen und Grafik geschaffen hat, entwickelt Hugo Morales ein multidimensionales musikalisches Objekttheater. Das tönende Material einer Zuckerwattemaschine spielt darin ebenso eine Rolle wie die feine Zuckerwatte selbst, die körperlos durch den Raum schwebt. Eine Kopiermaschine spuckt zweidimensionale Arme und Beine aus, die wiederum mit Teilen eines kaputten Riesenrads zu neuen hybriden Körpern zusammengesetzt werden. Und die Musiker bedienen neu geschaffene Instrumente und sind dabei selbst Teil von ihnen. So entstehen kinetische Skulpturen aus Materialien, Formen, Körpern, Videos und Klängen, die beständig die ihnen eigenen Grenzen ausloten oder überspringen.