Erzähler und Neurologe Oliver Sacks ist tot

FAZ 31.8.2015

Der britische Schriftsteller und Neurologe Oliver Sacks ist einem Bericht der „New York Times“ zufolge gestorben. Er wurde 82 Jahre alt. Sacks starb am Sonntag in New York, wie die Zeitung unter Berufung auf seine langjährige Mitarbeiterin Kate Edgar berichtete.

Der Autor wurde mit seinen Erzählungen bekannt, in denen er neurologische Krankheitsbilder anschaulich und in teils humorvollem Stil darstellte. Das Buch „Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte“ gehörte zu den bekanntesten Werken von Oliver Sacks. Erst im Februar hatte Sacks in einem Essay für die „New York Times“ über seine Krebserkrankung geschrieben. Der Tod sei „nicht länger ein abstraktes Konzept“, schrieb er, sondern „eine Gegenwart – eine allzu nahe, nicht zu verneinende Gegenwart“.

 Die Kunst des Sterbens

Anfang des Jahres hatte der Hirnforscher erfahren, dass seine Leber von Metastasen befallen war, neun Jahre, nachdem man ihm einen Tumor am Auge entfernt hatte. Seinen 82. Geburtstag am 9. Juli habe er noch „mit Stil“ feiern können, schrieb er. Der britische „Guardian“ befand, Oliver Sacks habe die Menschen „die Kunst des Sterbens“ gelehrt.

Sacks war blind auf dem behandelten Auge und brauchte einen Stock zum Gehen. Doch der Wissenschaftler, der Bestseller wie „Zeit des Erwachens“ und „Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte“ geschrieben hat, empfing noch im Frühjahr Patienten und gab das Schwimmen so lange nicht auf, wie es irgendwie ging.

Geboren wurde Sacks 1933 als Sohn eines jüdischen Ärztepaares in London. Er wuchs mit drei älteren Brüdern, die auch Ärzte wurden, in einem naturwissenschaftlich geprägten Haus auf. Später studierte er an verschiedenen Universitäten und machte Abschlüsse in mehreren Fachrichtungen, darunter einen Bachelor in Physiologie und Biologie sowie Medizin. Praktische Erfahrungen sammelte er unter anderem am Middlesex Krankenhaus in London, wo er sich der Neurologie zuwandte.

Die vermeintliche Normalität

1960 verließ Sacks Großbritannien, um Ferien in Kanada zu machen. Kurz nachdem er dort angekommen war, schrieb er seinen Eltern ein Telegramm. Darin stand nur ein Wort: „Bleibe“. Danach zog es ihn in die Vereinigten Staaten, zuerst nach Kalifornien, dann nach New York. Dort eröffnete er eine neurologische Praxis und arbeitete jahrzehntelang am Einstein College in der Bronx. Später war er an der New Yorker Columbia Universität tätig, wo er Seminare hielt und Patienten betreute.

In den 1970er Jahren begann Sacks, populärwissenschaftliche Bücher zu verfassen über Menschen, die durch eine Krankheit aus dem Raster der Gesunden gefallen sind. „Ich schreibe Überlebensgeschichten“, erklärte er einmal. „Geschichten davon, wie man mit diesen Krankheiten lebt.“ Sein literarischer Erstling „Zeit des Erwachens“ (1973), der von Opfern der „Europäischen Schlafkrankheit“ handelt, wurde ein internationaler Bestseller. Das Buch wurde später mit Robin Williams und Robert De Niro verfilmt.

Im Bestseller „Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte“ (1985) erzählte Sacks in 24 Fallgeschichten, wie wenig genügt, damit Menschen aus der vermeintlichen Normalität fallen. Auch mit „Stumme Stimmen“ (1989), „Das Innere Auge“ (2011) und „Drachen, Doppelgänger und Dämonen: Über Menschen mit Halluzinationen“ (2013) war der Hirnforscher erfolgreich. Erst in diesem Jahr ist seine sehr persönliche Autobiografie „On the Move“ erschienen.

Bekenntnis und Flucht

Hauptfiguren in seinen Büchern sind Patienten, Freunde, Familienmitglieder oder er selbst. Mit den Fallgeschichten, die witzig und einfach geschrieben sind, stellt Sacks die eigene Normalität immer wieder infrage. „Eine winzige Hirnverletzung, und wir geraten in eine andere Welt“, erklärte er einst.

Bis zur Veröffentlichung seiner Autobiografie war über das Privatleben des vielleicht bekanntesten Neurologen der Welt eher wenig bekannt. Auch „On the Move – Mein Leben“ war wieder voller Fallbeschreibungen und Patientengeschichten. Aber Sacks gab darin auf berührende Weise Einblick in sein langes, beruflich erfolgreiches und privat oft einsames Leben.

Als er sich als Jugendlicher im England der fünfziger Jahre im Elternhaus zu seiner Homosexualität bekannte, musste er sich von seiner eigenen Mutter anhören, dass er „ein Gräuel“ sei: „Ich wünschte, du wärst nie geboren worden.“

Lesen Sie hier die Rezension seiner Autobiographie aus dem Jahr 2015 und eine Würdigung Oliver Sacks‘ zum achtzigsten Geburtstag.

 

Quelle: FAZ.NET mit dpa