„Europa in seiner Gesamtheit zerfällt in sechs Teile, in Nord-, West-Süd-, Ost-, Mitteleuropa und den Rheingau“.
Unbescheidener Anfang von Deutschlands erfolgreichstem Comic: ‚Karl, der Spätlesereiter‘. Rheingauer Witzbolde : Michael Apitz und Patrick Kunkel.
“Der Rheingau“, sagt er, „ ist ein kleines Weinanbaugebiet und es gibt außer Burgund keines, was den Charakter einer Weinbaulandschaft so nach außen trägt“.
Das klingt ja schon bescheidener, der Gast aber muss auf Konsonanten achten „und die, die hier geblieben sind, haben sich eingereiht in die Ahnenreihe der Rheingauner- haben sich eingereiht in die Reihe der Rheingauer“.
Halt Freunde. Nicht dieses Konsonantengeplänkel, später mehr über Comic und Humor aus dem Rheingau, jetzt lasst uns bescheidenere Töne anstimmen, ehrlich, klar, und regional. Dafür steht Josef Laufer Junior, Küchenchef im Hattenheimer „Krug“
„Heute kochen Heute zaubern wir ein schönes regionales Menü : wir fangen an mit einer Buttermilchsülze von der Wisperforelle mit gebratenen Zucchiniblütenblättern und einer Vinaigrette von Gemüse und Liebstöckel – danach machen wir eine Schulter vom Freilandschwein, geschmort in einem Öl mit Holunderblüten auf Kohlrabigemüse mit frischen Pfifferlingen. Zum Dessert ein Törtchen vom Rheingauer Schafmilchkäse, das etwas karamellisiert wird mit einem Salat von Sonnenblumensprossen und Zitronenthymianpesto.“ Die Rezepte stehen unter REZEPTE
Klingt verführerisch, wie die Gegend, „ein Dichtertraum“, Heinrich von Kleist im Rheingau. Die Seele steht auf Sehnsucht.
. „Es gibt ja nichts, was für den Rheingau steht, es gibt keine spezielle Rheingauer Musik, sondern es ist vom allem ein bisschen was und es ist natürlich auch ein bisschen von dem, was man den Kölnern nachsagt“
Da ist er wieder der rheinische Komiker aus Eltville-Martinsthal, Patrick Kunkel. Riesling und Rotwein, wir kennen es aus dem Rheingau–aber Witz und Wortgewalt?
„Dass wir den Karl hier im Rheingau spielen lassen, dass wir überhaupt einen Comic in Angriff genommen haben, war mehr oder weniger Zufall. Mein Kollege und ich, wir hatten uns früher unsere ersten Sporen an einer Schülerzeitung verdient , wir haben dann ein eigenes Jugendmagazin für den gesamten Rheingau- Taunus- Kreis herausgegeben, und wir haben uns dann irgendwann gesagt, sein Zeichentalent und mein Spaß am Schreiben , das wird kombiniert, natürlich mit leichtem Blick auf Goscini/Uderzo, ohne dass wir uns auf dieselbe Stufe stellen wollen selbstverständlich, aber auch ein bisschen in der Tradition von Wilhelm Busch und den ganzen guten deutschen Karikaturisten, die durch das dritte Reich vertrieben wurden und diese Karikaturkultur in Deutschland ja völlig kaputt gemacht haben – haben wir uns gesagt , wir machen eine Bildergeschichte, einen Comic und sind also heutzutage heilfroh, dass wir eben regionale Geschichten erzählen, aber möglichst so erzählen, das eben auch ein Münchner, Hamburger, Berliner, Bremer darüber lachen kann.“
Regionale GescRegionale Geschichten erzählen, die andere verstehen. Auch wir versuchen es und gehen erst einmal mit Josef Laufer auf Einkaufstour. Die Bundesstraße schneidet durch das Tal zwischen Rhein und Weinbergen. Lagerhallen und Campingplätze, marodes Fachwerk, Gebrauchtwagenhandel.
Dann SeelenstrDann Seelenstreichler, Lichtreflexe wie winzige Goldkörnchen, Landschaft im milchigen Mythenschleier, Platanenalleen am Fluss, Weiden und Erlen in feinstem Leinentuch. Wiesbaden, die Landeshauptstadt – wer weiß das schon hier im Rheingau, wo alle immer noch an Mainz denken – das ist die andere Landeshauptstadt und die gehört zu Rheinland-Pfalz.Josef Laufers kleine Geschichts-Nachhilfe:
„Der Rheingau Der Rheingau gehört zu Hessen seit 1945, das haben viele Rheingauer noch nicht gemerkt- ich behaupte immer, es haben auch noch nicht viele Hessen gemerkt. Ich sag mal Hessen ist eben das klassische Hessen-Darmstadt, Hessen-Kassel, der Rheingau ist ein Anhängsel, darin besteht auch eine Chance, gefühlsmäßig, emotional sehen sich viele Rheingauer natürlich noch mit der alten Hauptstadt Mainz verbunden- als Mainz aufgestiegen ist, hingen hier im Rheingau die Mainzer Fahnen aus den Fenstern – da musste ich also doch grinsen .“
Auf nach Wiesbaden – hier gibt es ihn noch, einen kleinen Gemüsemarkt.
Sonst wird al Sonst wird alles plattgemacht, nach Frankfurt verlagert. Wo einst die Kirschen blühten, protzen heute Sonderangebote auf Beton. Das Wunder der Region und der Saison. Relikt für viele, denn das Gemüse und Obstjahr kennt nicht mehr 4 Jahreszeiten, sondern nur noch eine, bedauert Christian Scholl, Gemüsegroßhändler.
„Also im Grund genommen kommt alles aus der ganzen Welt, vor allem durch die Flugzeuge ist die Ware relativ schnell hier, gerade diese Exoten und dann kann man sie noch sehr schön präsentieren, mit dem Schiff ist es ein bisschen gefährlicher , dann sind sie zu lang unterwegs, dann kommt vieles hier zu reif an. Äpfel und Birnen, die kommen im Augenblick von Neuseeland, Argentinien, die kommen mit dem Schiff“
Das hohe LIEDDas hohe Lied eines Gemüsehändlers auf die Globalisierung. Christian Scholl steht in der Tradition. Sein Vater gründet Anfang der 20er Jahre das Geschäft, er führt es nach dem Kriege weiter, damals noch mit eigenen Produkten.
„Der Rheingau, ja, das war einmal. Der Rheingau war ja früher eines der besten Obstanbaugebiete Deutschlands und ich weiß – als Bub kann ich mich noch gut erinnern, hatten wir nach dem Krieg jeden Tag in dieser Zeit zum Beispiel einen Lastzug Erdbeeren nach München, einen Lastzug Erdbeeren nach Köln, nach Wuppertal – überall hatten wir Kunden sitzen, die vom Rheingau her mit Erdbeeren mit frischem Obst , Birnen, Pfirsiche, Äpfel, Kirschen vor allem, sehr viel Kirschen gab es im Rheingau und es waren vor allem nach dem Krieg die Flüchtlingsleute, die von der Nassauischen Heimstätte damals kleine Parzellen zugewiesen bekamen und die haben dort für uns Himbeeren angebaut und konnten damit in zwei, drei Jahren zum Beispiel den Rohbau für ihr Haus oder sogar das ganze Haus mit den Himbeeren bezahlen, weil die so gut bezahlt wurden – ich glaube, wir haben damals Anfang der 50er Jahre für ein Pfund Himbeeren eine Mark bezahlt, das war gutes Geld bei Stundenlöhnen, die damals noch nicht mal eine Mark waren. Das ist aber verloren gegangen, als die Industrielöhne stiegen und dann haben die Leute gesagt, ach was sollen wir uns da noch quälen und bücken, wir gehen lieber in die Industrie und verdienen genau das gleiche – so ist die Entwicklung ,ist im Grund genommen schade , weil es ein besonderes Obst war, das aus dem Rheingau kam, wie der Wein.“
Der Wein ist geblieben, Obst und Gemüse sind Spielbälle der Globalisierung. Christian Scholl holt eine CD aus seinem Auto: in Zukunft kein Spitzengemüse, sondern Spitzentöne, klar, der Sohn will nicht mehr mit Gemüse handeln – Andreas Scholl, internationaler Star, Countertenor.
Wir gehen weiter auf Einkaufstour – ein Autobahngewirr Mainz, Wiesbaden, Frankfurt. Direkt neben einem der letzten amerikanischen Militärflughäfen in Europa liegt eines der größten biologisch produzierenden Landgüter Hessens, die Domäne Mechthildshausen, Wiesbaden Erbenheim/Mainz-Kastel.
Randolph M Randolph Müller ,der Fleischermeister der Domäne, ist in seinem Element. Rinderteile tanzen unterm Messer, die Schweineschulter erhält den letzten Schliff. Etwa 400 Schweine leben in den Ställen mit Auslauf, alte Hausrassen werden nachgezüchtet. Glückliche Schweine.
„Das waren glückliche Schweine und wir sind auch glücklich dabei. Wir sind ja ein Bioland Betrieb, die Bioland Richtlinien sagen das aus und unsere eigene Philosophie sagt das aus, das die Schweine, so lang sie hier auf dem Hof sind, ein anständiges, glückliches Leben haben können. Das heißt, die Schweine sind im Stall mit Auslauf, überdachtem Auslauf auf Stroh gehalten und in kleinen Gruppen, nicht in Mastgruppen, sondern weniger Besatz, Futter vor allem ganz wichtig, hofeigenes Futter, viel Grünfutter jetzt momentan also die Futtermischung, die Futterzusammenstellung ist ganz wichtig, um auch ein Fett hinzukriegen – ein Schweinefleisch muss auch ein bisschen Fett haben, weil Fett der Geschmacksträger ist- es soll nicht überwiegen , nicht zu viel sein, aber halt im vernünftigen Maße. Wir haben also verschiedene Mischungen gebraucht, bis wir soweit sind und seit einiger Zeit haben wir die Kreuzungsrassen und die sind von der Fleischqualität her prima.“
Ein solches prima glückliches Schwein erträgt nur prima glückliche Behandlung. Josef Laufer wählt dazu Holunderblüten. Die Schulter badet in Pflanzen- und Olivenöl, verfeinert durch Holunderblüten, Orangenschale, Wacholder und Pfeffer. 5-6 Stunden bei 85°. Traumhaft glücklich. Zeit für ein kurzes Gespräch im Innenhof vom ‚Krug‘. Butzenscheiben, Weinlager, Kühlräume, Laufer Senior setzt seine Holunderblütenbowle an, Laufer Junior reflektiert über den Spagat zwischen alt und neu, Tradition und Moderne. Die Karte dokumentiert es: links Altbekanntes und Beliebtes, rechts die Junior- Handschrift, raffinierte Ausflüge in eine gekonnte Gradlinigkeit:
„Zum Beispiel mal eine Blutwurst mit einer roten Currysauce, die ja thailändisch ist und dazu eine richtig gut gebratene deutsche Blutwurst kann ’ne tolle Sache sein oder ein Risotto mit asiatischen Gewürzen, eben diese Mischung daraus, das ist das, was mir Spaß macht und so möchte ich auch meine Küche umschreiben, also einfach mein Geschmack auf den Teller gebracht und dabei immer wieder versuchen, neue Dinge zu entdecken, wie es jetzt auch ist mit den Holunderblüten und dem Öl und dem Schwein einfach eine Kombination, die ich so noch nicht kannte und die mir aber so spontan kam und mir eigentlich sehr gut schmeckt, das ist eigentlich das, wonach ich suche und versuche rüberzubringen.“
Sonntag und Montag Ruhe, sonst Kocharbeit und Kochkunst von 9 Uhr morgens bis fast um Mitternacht. Ein Mann zwischen Stolz und Bescheidenheit.
„Ich bin schon eher ein zurückhaltender Mensch, nicht so direkt nach vorne gehend, eher ein bisschen in mich gehend – bin natürlich auch stolz auf das, was ich erreicht habe, kann ich auch, wenn man bestimmte Stationen macht, seine Küchenmeisterprüfung macht und auch in dem einen oder anderen Rundfunksender oder in Druckmedien über einen berichtet wird, dann ist man auch ein bisschen stolz darauf, vor allem wenn man dann auch merkt, es ist auf Grund meiner handwerklichen Tätigkeit gekommen, dann ist man schon stolz darauf ein bisschen, ja.“
August Kessler ein deutscher Spitzenwinzer, Assmannshausen. Hier schießen die Weinberge förmlich in die Höhe, verlocken zur Rotweinabfahrt auf steiler Schieferlage. Arbeit im Weinberg ist hier mehr Last als Lust.
„Es ist alles 100% – ausgenommen im Pflügen mit einem Stahlpflug durch eine Seilwinde gezogen – Handarbeit. Es muss alles mit der Hand gemacht werden, die einzige Chance, die man hier in diesen steilen Hängen hat, ist eine exorbitante Qualität abzuliefern zu hohen Erlösen, um überhaupt die Kosten, die darüber entstehen, auch unterbringen zu können. Das wird sich nicht ändern, weil wir das Landschaftsbild nicht ändern und deshalb kann ich nur jeden aufrufen, höchste Qualität bitte schön an den Tag zu legen, damit diese Gegend hier in Assmannshausen im besonderen nicht eines Tages so aussieht, wie die Gegend um den Mittelrhein herum, wo heute Büsche und Dornen wachsen auf vormals kleinen Terrassen angepflanzt mit hervorragenden Reben.“
Dem Rheingau droht diese Gefahr noch nicht. Die Weinberge stehen satt im Grün, protzen mit Üppigkeit und betörender Blüte
„Um den 10 Juni herum liegt ja im Mittel aller Jahre die Weinblüte, das heißt, die Fruchtstände blühen. 2 bis 3 Fruchtstände pro belassenen Trieb. Für uns heißt das, sollten es drei sein, wird eines sofort weggeschnitten beim Riesling und auch beim Spätburgunder. Hat man diesen Ansatz von 2 bis 3 deutet es auf ein fruchtbares Jahr hin und diese Fruchtstände müssen dann tatsächlich auch über das Jahr hinweg durchgebracht werden, was nicht einfach ist, insbesondere auch durch die letzten Jahre verbunden mit hoher Trockenheit müssen diese Fruchtstände auch ernährt werden, d.h. also, es kommt eine ganze Menge Arbeit auf uns zu, begleitet von hohen Risiken, zum Beispiel Unwetter und Hagel, um diese angesetzten Trauben, die man Fruchtstände oder Gescheiner nennt, weil sie den Schein einer Traube darstellen, gesund nach Hause bringen zu können.
Der 50 Breitengrad und die exotischen Fruchtfeuerwerke. Mandeln, Feigen, Esskastanien und Zitronen gedeihen. Winzers wonnige Weinweihen. Die Rheingauer Mitte ist wichtig, das Ende bedeutend aber der Anfang ist der Beginn aller kulinarischen Laster. Menschen im Focus. Helmut Robert ist bereits seit 17 Jahren im Geschäft, im Wispertal.
Schmale Wiesenböden, Laub- und Tannenwald, Schieferberge und dazwischen das kühle, sanfte wispern der Wisper. Eigentlich ist er zufrieden, der Helmut Robert, das kleine, feine Geschäft läuft gut, die Qualität der Forellen ist Fisches Hochgenuss – wenn da nur nicht die Behörden wären, mit immer neuen Vorschriften. Das nervt aber da schwimmt er sich frei, wie seine wunderbar schmackhaften Forellen.
Andreas Spreitzer, Winzer in Oestrich. Die Fachwelt überschlägt sich. Der 50. Breitengrad als Beckmesser für den Riesling. Goethe spricht von „des Rheins gestreckten Hügeln und hochgesegneten Gebreiten“ – Queen Victoria macht es drastischer: „Good Hock keeps off the Doc“, süffiger Slogan der imperialen Muse des Rheinweins.
Rauenthal
ein kleines Städtchen, die Käserei in anspruchsvollem Kleid, ein Haus von 1889, schwarze Schiefereinrahmung am Dach, Rauputz, blaue Fensterrahmen – Lichtexplosionen in trister Weinanbauarchitektur. Die Adresse: Kultur- und Tagungshaus. Karl der Spätlesereiter, Comic, Seite 44, Pater Anselm: ‚es hat der Wein am End‘ zum Guten alles noch gewendet. ‘