SCHLECHTESTE SÄNGERIN
„In der Oper gibt es wenig Toleranz“
Krimiautorin Donna Leon und Mezzosopranistin Joyce DiDonato bringen Florence Foster Jenkins auf die Leinwand.
Eigentlich machen sie beide etwas anderes. Donna Leon (74) schreibt in ihren Krimis über das Verbrechen in Venedig. Mezzosopranistin Joyce DiDonato (47) singt weltweit auf Opernbühnen. Jetzt haben sie den Kinofilm „Die Florence Foster Jenkins Story“ über das Leben der angeblich schlechtesten Sängerin der Welt gedreht: Donna Leon produziert, Joyce DiDonato spielt ihre erste Kinorolle.
Frau DiDonato, wie war es, so schlecht zu singen?
Joyce DiDonato: Es war schwierig, denn Florence Foster Jenkins hatte nicht einen musikalischen Knochen im Körper. Ich bin mit einer Grundmusikalität geboren. Um so zu singen wie sie, musste ich versuchen, die von mir abzuschneiden. Ich liebte es.
Warum?
DiDonato: Weil es frei war. Und diese Freiheit haben Opernsänger sonst nicht. Von uns wird Perfektion erwartet. Deswegen hat es mir Spaß gemacht, in dieser Rolle sorglos zu singen, ohne den Druck, perfekt sein zu müssen. Auf der Bühne ist das anders, da muss die Sprache, Französisch oder Italienisch, perfekt sein, das Schauspiel muss echt wirken. Aber wenn alles perfekt ist, ist es hart, Magie entstehen zu lassen. Und da muss man loslassen.
Kommt es beim Schreiben auch auf dieses Spiel aus Vorbereitung und Loslassen an?
Donna Leon: Nein, weil man beim Schreiben immer die Chance hat, Fehler zu korrigieren. In der Oper hat man nur eine Chance. Spricht man da ein Wort falsch aus, wird das jeder im Publikum hören.
DiDonato: In der Welt der Oper gibt es eben wenig Toleranz für Fehler. Wenn du jeden Abend 10.000 Noten singst und eine verfehlst, dann wird das die eine sein, über die die Menschen reden.
Jenkins ist, so sagt man, an solch schlechter Kritik gestorben. Wie gehen Sie damit um?
DiDonato: Donna, liest du Kritiken?
Leon: Ja, manchmal lese ich die Englischen. Aber eigentlich nicht mehr viel. Die Kritiker kennen ja mittlerweile auch meinen Commissario Brunetti, und die Qualität der Bücher unterscheidet sich nicht so groß. Wenn sie den Letzten mochten, dann mögen sie wahrscheinlich auch den Neuen. Bisweilen werde ich kritisiert, aber bis jetzt nie beleidigt.
Nehmen Sie die Kritik persönlich?
Leon: Nein. Das habe ich am Anfang, aber jetzt nicht mehr.
Ist es bei Sängerinnen anders?
DiDonato: Meine Erfahrung ist, dass es schon Schatten werfen kann. Denn die meisten Sänger packen alles in ihre Performance. Das ist nicht nur deine Show, das bist dann auch du. Dann mit Kritik fertig zu werden, da helfen nur Erfahrung und Alter. Dann kann man anfangen, es weniger persönlich zu nehmen.
Leon: Gibt es Kritiker, die dich nicht mögen?
DiDonato: Ja. Es gibt auch einige, die mich am Anfang meiner Karriere mochten und jetzt gelangweilt sind. Aber je älter ich werde, desto weniger Bedeutung messe ich dem bei.
Also geht es um Selbstbewusstsein. Florence Foster Jenkins war auch sehr selbstbewusst.
Leon: Musste sie auch sein.
DiDonato: Ich glaube, das ist eine Entscheidung. Man muss sagen: „Das Gerede kümmert mich nicht mehr. Ich tue das ohne Entschuldigungen.“
Tun Sie das selbst so?
DiDonato: Ja, mit diesem Film.
Warum?
DiDonato: Weil ich wusste, dass ich nicht so aussehen würde wie ich, wenn ich zurechtgemacht bin für die „Night of the Proms“. Ich wusste, dass ich mich dabei zeigen werde, schlecht zu singen und kränklich, einfach nicht gut auszusehen.
Hatten Sie davor Angst?
DiDonato: Nein, überhaupt nicht. Der Film war eine Entscheidung für mich. Ich wollte die Geschichte erzählen.
Jenkins hatte einen Traum und hat versucht, den zu leben.
DiDonato: Donna, du lebst ja eigentlich deinen Traum oder?
Leon: Nee, ich hatte nie wirklich Träume, sondern habe einfach immer getan, was ich tun wollte und was mir Spaß machte. Meine Eltern haben nie von mir verlangt, Erfolg zu haben oder Präsidentin zu werden. Sie haben immer gesagt: „Hol dir eine gute Bildung ab und habe Spaß im Leben.“ Deswegen bin ich wirklich kein Mensch, der sich total abrackert. Alles, was ich wollte, war Spaß haben.
DiDonato: Das ist interessant, Donna, mir ging es ähnlich. Es ging nie darum, die Allerbeste zu sein, sondern mein Allerbestes zu geben.
Frau DiDonato, Sie wollten immer Sängerin werden. Leben Sie Ihren Traum?
DiDonato: Naja, als ich jung war, hatte ich eigentlich immer den Wunsch, eine Broadway-Sängerin zu werden. Aber dann kam da die mittelamerikanische Mentalität meiner Heimat dazwischen, dieses „Ach, wer wird schon ein Star?!“ Und so kam ich von diesem Druck ab, von dieser Erwartung an mich selbst. Ich bin froh, dass ich das schon damals so empfunden hab. Denn was ich jetzt tue, das übertrifft meine Träume.
Wie weit sollten wir für unsere Träume gehen?
Leon: Wir sollten dabei nicht leiden. Das ist es nicht wert.
DiDonato: Was nicht heißt, dass es keine Strapazen geben kann.
Gab es die bei Ihnen?
DiDonato: Ja, ich hatte Zeiten voller Strapazen, aber die waren kurzlebig, und es waren Dinge, für die ich selbst verantwortlich war.
Frau Leon, Sie haben Ihre Doktorarbeit in den Wirren der Iranischen Revolution verloren. Das klingt nach verrückten Träumen?
DiDonato: Diese Geschichte kenne ich gar nicht, Donna.
Leon: Also, als ich im Iran war, habe ich vier Jahre lang an meiner Doktorarbeit über Jane Austen gearbeitet. Aber dann kam die Iranische Revolution, und wir wurden plötzlich evakuiert. Als der Bus mitten in der Nacht kam, standen junge bärtige Männer mit Maschinenpistolen um uns herum. Aber man hatte uns vorher gewarnt: „Die nehmen euch alles Papier, alles Geschriebene weg.“ Also wollte ich sie austricksen und verschickte zwei Kopien der Arbeit in Koffern. Als die dann sechs Monate später in den USA ankamen, waren keine Notizen, keine Kopien drin. Ich habe also Jahre gearbeitet und hatte nichts mehr. Dann habe ich überlegt, ob ich alles nochmal schreibe, ein anderes Thema wähle oder ob ich einen Job in China annehme und dort Englisch unterrichte. Also bin ich nach China gegangen. Weil ich nicht bereit war, nochmal von vorn anzufangen.
DiDonato: Ich liebe dich.
Haben Sie das je bereut?
Leon: Nein, dann wäre ich jetzt nicht hier, sondern irgendwo in Iowa und würde Lesen und Schreiben lehren. Nein, das ist die beste Sache, die passiert ist. Denn das hat mein Leben geändert. Es war sehr ernüchternd, aber hilft dabei, das Leben anders zu sehen. Danach kümmert es dich nicht mehr, was andere sagen. Seitdem jemand eine Kalaschnikow auf mich gerichtet hat, denke ich, jeder Tag ist ein Geschenk.
Quelle: Berliner Morgenpost