Mein Briefträger hatte schon recht, als er mühsam die Treppen hochkeuchte und stöhnte: ‘Bücher werden auch immer schwerer‘. Meine Antwort: ‚es handelt sich ja auch um ein Kochbuch‘ – für den Witz war er nicht zugänglich, entsetztes Augenverdrehen, unverständliches Stöhnen ‚ ‚na dann viel Vergnügen! ‘ Genau 3360 Gramm ist das Kochbuch von Sven Elverfeld schwer, der Name ist der Titel, der Name ist Programm, Gramm für Gramm ist das Werk jeden Cent wert, 70500 insgesamt. Nach der ersten Überwindung der Sperrigkeit, ein Gefühl der Überraschung, der Begeisterung, der Nachdenklichkeit. Kochbuch ist hier der falsche Begriff – es ist ein Buch über das Kochen, über das Kochen als etwas Einmaliges, über eine besondere Form der Kunst. Kochen als Kunst, von vielen in unserem Land noch immer nicht akzeptiert und verstanden, vor allem von den Kulturträgern der Nation, Kochen als Kunst hier wird es Seite für Seite sichtbar. Traumhafte, überraschende Rezepte und Rezepturen, die Auflösung des Bekannten in die ursprünglichen Bestandteile, die Ordnung und das Zusammensetzen zu neuen überraschenden Formen, Geschmacksrichtungen und Gerichten. Einige Beispiele: der klassische Mozzarella mit Tomate, das Caprese. Hier kommt die MagiQo Tomate ins Spiel, der Rolls Royce unter dieser Frucht, ein Andalusisches Geschmacksmärchen. Tiefe Furchen und Unregelmäßigkeiten unterstreichen die Natürlichkeit des Produktes. Außen grünlich, innen eine hochexplosive Reife. Diese Tomate als Basis, in Halbmonde geschnitten. Der Rohmilch-Büffel ebenfalls in Halbmonde, Olivenöl, Balsamico und Tomatenessig als Vinaigrette – die beiden Halbmonde zu einer Scheibe zusammensetzen, Maldonsalz als Krönung und fertig ist eine optische Neupräsentation eines Klassikers aus wunderbaren, kostbaren Produkten. Oder eine Panna Cotta aus Mozzarella, ein Handkäs mit Musik-geeist, eine Hommage an seine Heimat. Eine Makrele mit Birne, Tappenbecker Möhren, Artischocken, grünen Oliven und Speck beweist die Harmonie von Bewährtem, Bodenständigem mit einem kleinen Mittelmeerstürmchen. Und noch ein Gaumenhammer aus dem deutschen Küchenmärchenbuch, Eisbein, versaut und verschrien durch Tausende von Richtfesten, bei Elverfeld optisch und geschmacklich ein Gemälde von Dali aus Sauerfleisch, Eisbeinsauce, Kartoffel-Speck-Espuma, Bratkartoffeln und Kartoffelring, Mixed Pickles, Gurkengelee, Rote-Bete Gelee und Sauerkrautgel. Hier trifft sich die ganze Fantasie und Kreativität mit dem Basiswissen. Geschmack und Produkte werden von Elverfeld in außergewöhnlicher Form und Qualität verarbeitet. Sein Credo ist essbarer Alltag. „Die Kunst, Eigenaromen so exakt wie möglich herauszuarbeiten, zu intensivieren und diese Aromen dabei so sensibel zu verbinden, dass jedes Produkt für sich geschmacklich erkennbar bleibt, ist die Voraussetzung für Genuss“, schreibt er. Auch deshalb ist sein Kochbuch Genuss pur. Nein, mit Nachkochen ist es hier nicht getan, da scheitern sicher auch viele Profis – aber das Spiel und Prinzip aus Produkt, Saison, Struktur, Aroma und Küchentechnik ist erkennbar, nachvollziehbar. Und das eine oder andere Element lässt sich schon in überraschender Form nachmachen. Jetzt gilt es noch mit einem Vorurteil aufzuräumen: Kochbuch ist der falsche Begriff, ja ein Buch, ja auch Kochen – aber es ist die Dokumentation einer hohen Kunst durch Sven Elverfeld. Deshalb haben wir es hier mit einem Kunstbuch zu tun und das ist das große Verdienst des Verlages und der Verlegerin Anja Heyne, sich abzusetzen von ramschiger Massenware und einem Kochkünstler auch das Forum für seine Kunst zu bieten, mit diesem Buch. Welche Kunst zwischen den Deckeln schlummert wird auch sichtbar durch die großartigen Fotografien der Wienerin Luzia Ellert – perfekte Industriefotografie der Autostadt, perfekte Fotos der Elverfeldschen Kreationen. Zwei Künstler und ein Kunstwerk.
Mein Briefträger also hatte Unrecht: „Das Gewicht eines Problems wird brutto notiert. Wir sind darin inbegriffen“. (aus: Stanislaw Jerzy Lec, ‚Unfrisierte Gedanken‘ Carl Hanser München)
Sven Elverfeld – Collection Rolf Heyne € 75,00
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