KIYAKS Theaterkolumne aus dem Berliner Gorki Theater

 

Die SPIEGEL-Bestseller-Liste für Sachbücher der letzten drei Wochen:

Letzte Gespräche von Benedikt XVI., gefolgt von Die Menschheit schafft sich ab und Patient ohne Verfügung. Wer Trost in der Vergangenheit sucht, kann auf Höllensturz: Europa 1914 bis 1949 zurückgreifen. Oder sich der Zukunft zuwenden und Deutschland in Gefahr von Rainer Wendt lesen. Der Autor ist Deutschlands führender Eskalationsbeschwörer und Chef einer ominösen, – in den Augen mancher – rechtsextremen Splitterpartei namens „Deutsche Polizeigewerkschaft“.

Weiter unten in der Liste wird es spirituell. Himmel, Herrgott, Sakrament und Der Koran. Irgendwo dazwischen Gelassenheit von Wilhelm Schmid und Sorge dich nicht, Seele von Margot Käßmann. Sorge dich nicht, Seele!! Meine Güte, wer schreibt denn so was? Hätte ich eine Fitnessclubkette und würde meine gesammelten Weisheiten veröffentlichen, hießen sie: Sorge dich nicht, hebe!

Papst, Polizist, Pastor. Diese drei Berufsgruppen dominieren den Sachbuchmarkt seit Wochen. Ich beobachte das schon eine Weile. Versucht man die Buchtitel in eine innere Ordnung zu bringen, kommt man zu dem Ergebnis, dass die Leserschaft durch drei Phasen geht. Krise, Untergang, Wiederaufbau. Voilá. Unsere Trümmerliteratur. Deutschland nach 45. Die Bestsellerliste zeigt, was das Land liest, wofür es sich brennend interessiert. Und mit solchen Lesern soll man ein besseres, schöneres Land gestalten.

Interessanterweise spielen die Flüchtlinge, über die wir so viel in den Zeitungen lesen und in den Gesprächssendungen im TV oder Radio hören, in den Bestenlisten keine Rolle. Auch nicht die Länder, aus denen sie geflohen sind. Wie aber kommen die Leser, die die sozialen Medien mit ihren Urteilen fluten zu ihren Einschätzungen? Reicht ein Untergangsmärchen von Rainer Wendt und ein Thriller aus der vermeintlichen Faschowelt des Gruselislams, herbeiphantasiert von Hamed Abdel-Samad aus, um sich über ziemlich jeden Artikel über Flüchtlinge und den Islam zu ereifern?

Ist es nicht seltsam, dass beispielsweise kein einziges politisches Sachbuch aus dem Türkischen jemals ins Deutsche übersetzt wurde? Oder aus dem Kurdischen ins Deutsche. Es gibt auf Kurmanci exzellente politische Gesellschaftsanalysen über die Türkei. Wieso können wir keine Literatur aus dem syrisch-arabischen oder afghanischen Sachbuchmarkt auf Deutsch lesen? Oder wenigstens Essays. Diese Länder haben doch auch Denker, Philosophen, Theologen, Politologen, Künstler und so weiter. Kein Wunder, dass man in Deutschland denkt, dass im Orient nur Teppichverkäufer und Ziegenmelker leben. Deutschland hat jedes Jahr 100.000 Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt. Aber Sachbücher aus jenen Ländern, über deren Bevölkerung wir immerzu sprechen, ist keines dabei. Feministische Literatur von algerischen, marokkanischen oder tunesischen Autorinnen, die mit ihren Gesellschaften hart ins Gericht gehen, Fehlanzeige. Reisereportagen von deutschen Journalisten können keine Sachbücher von landeseigenen Publizisten ersetzen.

Verfolgt man die so genannten Islamdebatten in Deutschland, merkt man, wie hiesige Autoren mit ihrem Wissen im Mittelalter hängengeblieben sind. In islamisch geprägten Ländern wird auf einem völlig anderen philosophischen Diskursniveau gestritten. Da kommt man mit seinem Schariagesabbel à la Kommentarspalte nicht weit. Kennt jemand einen berühmten libanesischen oder jordanischen Sachbuchautor? Na bitte!

Die Tageszeitung Die Welt des Menschenrechtsvereins Axel Springer Verlag beginnt seine Onlineartikel seit einiger Zeit mit der Mitteilung über die Lesedauer. Da steht dann – oh Gott, ich schäme mich so sehr, das aufzuschreiben, aber ich mache es –, da steht dann jedenfalls (Gott ist mein Zeuge, ich bin schweißnass vor Scham), Lesedauer: 3 Minuten. Ich möchte sterben. Ladies and Gentlemen, welcome in the Dichter und Denker Nation.

Am Sonntag hat Carolin Emcke den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten. Die Rede, die sie hielt, hat die Friedenstaube der Welt, Thomas Schmid (Lesedauer: 7 Minuten) als Feldgottesdienst des Gutmenschen bezeichnet und die Friedenspreisträgerin in eine Reihe mit völkisch denkenden Menschen gestellt. Und warum? Weil Carolin sich beharrlich weigert wie die Politaktivisten von Axel Springer Menschen nach Ethnie und Religion zu beurteilen und Leute, die so etwas tun, als legitime Gesprächspartner zu betrachten. Das mache sie zu einer völkisch argumentierenden Autorin, weil doch auch sie die Hassenden als eine Gruppe zusammenfasst. Schrill, oder? Wer sich gegen Hass engagiert, wird neuerdings in eine Reihe mit rassistisch denkenden Ideologen gestellt. Die Neue Rechte dreht völlig durch. Übrigens hielt Emcke, die famose Fanatikerin des Humanismus die Eröffnungsrede unserer kleinen Kultstätte am Festungsgraben. Damals, im November vor drei Jahren, als wir, die rassenübergreifende Besatzungsmacht unkontrolliert das Haus Gorki überrollten und seitdem in Form einer Kettenduldung eine Völkerschlacht nach der nächsten anzetteln.

Jedenfalls, liebe Liebhaber des Darstellenden Spiels und Abonnenten dieses gesellschaftskritischen Monologs namens Theaterkolumne; ich melde mich wieder in 14 Tagen und grüße herzlich mit Küsschen rechts und links, aber ohne Handschlag, weil haram. Apropos haram. Neulich eine Kollegin zu mir:
„Nimmst du mich mal mit ins harem?“
Ich: „Bitte?“
Sie: „Na, wo die islamischen Frauen sich immer baden“.
Ich (hinterfotzig, weil genervt): „Ach so, du meinst haram?“
Sie so: „Ja, genau haram.“

Warum erzähle ich das? Weil es sich bei dieser Frau um eine bekannte Journalistin handelt, die im deutschen Feuilleton Artikel schreibt. Schwerpunktthema: Muslime, Integration, Flüchtlinge, Islam.

Es grüßt herzlich
Ihre Literaturkorrespondentin aus dem Gorki

Mely Kiyak