Seine Ärzte prophezeiten ihm den Tod mit Mitte 20. Nun ist der Astrophysiker Stephen Hawking 75 Jahre alt. Porträt eines Menschen, der an die Grenzen des Machbaren geht – in der Medizin und in der Physik.
Er hat eine der bekanntesten Stimmen der Welt – und ist doch eigentlich sprachlos seit einem Luftröhrenschnitt im Jahr 1985. Doch wie so vieles in Stephen Hawkings Leben konnte ihn auch das nicht aufhalten. Es hielt ihn nicht auf, die Physik zu revolutionieren. Es hielt ihn nicht auf, zu heiraten. Es hielt ihn nicht auf, ein Popstar der Wissenschaft zu werden.
Dieser Popstar wurde am 8. Januar 75 Jahre alt – dabei sollte er nach Prognose seiner Ärzte seit 50 Jahren tot sein. Hawkings Leben ist ein beispielloses Auf und Ab: physikalisch, medizinisch, menschlich.
Eine Stunde Arbeit pro Tag? Muss reichen
Hawking wird mitten im Zweiten Weltkrieg als Sohn eines Tropenmediziners und einer Sekretärin geboren. Er bezeichnet sich selbst als mittelmäßigen Schüler, schafft aber trotzdem die Aufnahme an der renommierten University of Oxford. „Zu jener Zeit war das Physikstudium in Oxford so organisiert, dass man der Arbeit sehr leicht aus dem Weg gehen konnte“, schreibt Hawking in seiner Autobiografie „Meine kurze Geschichte“. Er habe in den Jahren in Oxford insgesamt wohl nicht mehr als 1000 Stunden gearbeitet – also durchschnittlich eine Stunde am Tag, so Hawking später.
Anfang der Sechzigerjahre beginnt Hawking eine Promotion an der University of Cambridge im Bereich Kosmologie, doch er kommt nicht recht voran.
1963 folgt die schreckliche Diagnose: Ärzte erklären ihm, dass er an der Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) erkrankt ist. „Die Erkenntnis, dass ich an einer unheilbaren Krankheit litt, an der ich wahrscheinlich in ein paar Jahren sterben würde, war ein ziemlicher Schock“, schreibt Hawking.
Nicht das Ende, sondern der Anfang
Doch er stirbt nicht; seine Erkrankung schreitet zum Glück nur sehr langsam voran, wie sich später herausstellt. So wird ALS zum Start in Hawkings neues Leben. „Die Krankheit hatte zwei Effekte“, sagt die Autorin Kitty Ferguson, die mehrere Biografien über Hawking geschrieben hat. „Sie hat ihn motiviert zu arbeiten. Und sie hat ihn zu dem Promi gemacht, der er heute ist.“
Hawking verliebt sich in die Studentin Jane Wilde. Er will Wilde heiraten, doch dafür braucht er einen Job. Und für einen Job muss er seine Doktorarbeit fertig schreiben. „Deshalb begann ich das erste Mal in meinem Leben, richtig zu arbeiten“, schreibt Hawking. „Zu meiner Überraschung stellte ich fest, dass es mir gefiel.“
Auf der Suche nach der „Weltformel“
Es ist der Auftakt für eine Reihe wissenschaftlicher Entdeckungen, die als Meilensteine in der Kosmologie gelten:
- Zusammen mit seinem Mentor und Kollegen Roger Penrose liefert er 1965 die mathematische Begründung dafür, dass das Universum mit einem Urknall entstanden ist.
- 1973 veröffentlicht Hawking zusammen mit zwei Kollegen eine grundlegende Theorie über Schwarze Löcher. Ihr Papier überschreiben die Autoren mit „Die vier Gesetze der Mechanik Schwarzer Löcher“ – in Anlehnung an fundamentale Gesetze, die in der sogenannten Thermodynamik gelten.
- 1974 folgt der Paukenschlag: Hawking zeigt, dass Schwarze Löcher, die Staubsauger des Universums, Materie nicht nur verschlucken. Stattdessen senden sie Strahlung aus und verdampfen so langsam, bis sie irgendwann verschwunden sind. Die Strahlung erhielt in den Folgejahren den Namen Hawking-Strahlung.
Das faszinierende an dieser Berechnung: Die Hawking-Strahlung ist nur möglich durch die Anwendung der Quantenmechanik, also der Theorie kleinster Teilchen. Schwarze Löcher hingegen sind eine Folge von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie. Beide Theorien zu einer großen Theorie zusammenzufügen, ist seit Jahrzehnten ein Traum von Physikern. Das Ergebnis wäre die große vereinheitlichte Theorie, die „Weltformel“.
Die hat auch Hawking bisher nicht gefunden, aber seine Arbeit ist ein großer Schritt in diese Richtung.
Hawking sucht stets die Antworten auf die ganz großen Fragen des Universums – und legt dabei eine erstaunliche Leichtigkeit an den Tag. Beispielhaft dafür sind die Wetten, die er mit Forscherkollegen abgeschlossen hat:
1991 schlossen Stephen Hawking, John Preskill (links) und Kip Thorne (Mitte) eine Wette über sogenannte nackte Singularitäten ab. Hawking glaubte nicht an deren Existenz und unterzeichnete mit seinem Fingerabdruck. „Der Verlierer wird dem Gewinner Kleidung geben, um seine Nacktheit zu bedecken“, heißt es im Originaltext. 1997 gab Hawking die Wette verloren und schenkte Thorne und Preskill jeweils ein T-Shirt mit einer aufgedruckten, fast nackten Frau.
Ebenfalls mit Kip Thorne wettete Hawking, dass der Doppelstern Cygnus X-1 (im Bild links das Foto einer Weltraummission, rechts eine Illustration) kein Schwarzes Loch enthalte. „Ich hoffte, diese Wette zu verlieren, weil ich natürlich viel Arbeit in die Erforschung Schwarzer Löcher investiert hatte“, schreibt Hawking in seiner Autobiografie. So kam es: Die Existenz eines Schwarzen Lochs wurde nachgewiesen und Thorne erhielt als Wetteinsatz ein Jahresabonnement der Männerzeitschrift „Penthouse“.