Taste Nature – der Michelinstern,Theodor Falser und die ‚Johannesstube‘ (Welschnofen,Hotel Engel)

foto:  hotel engel
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Es war eine Wiederbegegnung der wunderbaren Art. Das Hotel ‚Engel‘ ruht in einer Zeitkapsel. Wenn Zeit bedeutet, dass all der Rummel um aufgeregte Modernität, um Hip Hop in Ausstattung und Mentalität, die Suche der Zauberformel ‚Gast um jeden Preis‘ hier nicht stattfinden, sondern Ruhe, Gelassenheit, Freundlichkeit, Unaufgeregtheit, traumhafter Service das Credo von Carmen und Johannes Kohler sind, dann steht hier die Zeit still, dann findet hier nach wie vor nur gelebte und gekonnte Gastfreundschaft statt. Ankommen, durchatmen, Dasein mit allen und durch alle Sinne – der ‚Engel‘ ist ein Garant dafür.

Gespannt war ich natürlich vor allem auf eine neue kulinarische Begegnung, denn Markus Baumgartner, der mich vor 2 Jahren so sehr überzeugt hat, ist gegangen, sein Nachfolger  ist seit Juni 2014 Theodor Falser. Bereits im November zeichnete ihn der ‚Michelin‘ mit einem Stern für die ‚Johannesstube‘ aus.  Falser stammt aus Südtirol, kommt aus Karneid im Eggental. Erst war es ihm zu eng, also auf in die Welt  mit Kochhaltestellen in der Schweiz, auf den Bermudas, in Kuala Lumpur, Peking, Oman. Dann war es genug vom Hauch der großen weiten Welt, die Besinnung auf das Bodenständige,  auf die Wurzeln seines Seins führten ihn zurück nach Südtirol, nach Welschnhofen, in das Hotel ‚Engel‘, in die ‚Johannisstube‘.

foto: hotel engel
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Meine Begegnung mit ihm war großartig, offen, menschlich, keine Überheblichkeit, Kritik ist kein unbekanntes Wesen, konstruktiv ist sie ihm nur recht. Sein Programm: ‚taste nature ‚ mit 7 oder 10 Schritten. Unverfälschter Geschmack der Natur, alte, fast vergessene Gemüse und Kräuter. Die Bäuerin Anna Maria ist ihm eine gute Partnerin bei ungewohnten Aromen, Strukturen, Stoffen. Urkarotte, Bergamotte, guter Heinrich, Wasabino, Blutampfer, Bohnenkraut, Wasserpfeffer, 40 Sorten Tomaten – Uriges, Vergessenes.

foto: hotel engel
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Er will zurück zur Natur, zum Geschmack, der irgendwo gespeichert ist, den wir aber nicht mehr zuordnen können. Sein Spiel mit Produkten, Zubereitungen, Formen und Farben lassen die Urgeschmäcker, die wir in uns haben wiederaufleben. Geschmack kann man nicht erziehen, entweder schmeckt etwas oder nicht, Theodor Falser unterstützt, begleitet, schlägt vor: alles ist etwas anders, als man es sonst überall bekommt.

Das Erlebnis Natur in 5 Schritten.

Schweinekopf in ‚Vinschgauer-Brot-Panade‘ und süß-saure Sauce

foto: hotel engel
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Ein amuse bouche , das den Gaumen fröhlich macht, Geschmacksknospen animiert. Der Schweinekopf  bei Niedertemperatur gegart offenbart eine schmelzende Zartheit, die Panade aus Schüttelbrot ist herzhaft, kernig, nicht zu dominant, lässt es aber knuspern und leicht krachen. Kopf und Brot ergänzen sich prägnant. Die süß-saure Soße, geräucherte Pepperoni und Tomate runden das Ganze harmonisch ab.

Kompressierter Gurkensalat, halbrohe Calamari. Pfifferlinge, Kren-Luft.

foto: hotel engel
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Ein kulinarisches Feuerwerk wir hier gezündet durch Formen, Farben und Vollendung. Die Gurke ist eine Geschmacksgranate, wahnsinnig frisch, geschmacklich völlig unbekannt. Ja, Gurken können schmecken, können explodieren- im Beutel unter Druck gepresst, damit Sesam eindringt. Pfifferlinge , eine Demonstration von Heimat – Kren-Luft, ein leichter, herber Kontrapunkt. Calamari als ungewöhnlicher Kontrast. Nicht umsonst bezeichnet Falser den Gurkensalat als provokantestes Gericht.

Makrele, Bergamotte gebeizt, Zitronencreme, Radieschenblätter-Pesto

foto: hotel engel
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Und wieder grüßt ungewöhnliches in Struktur, Textur und Ästhetik. Hier treffen sich ganz extreme und ausgeprägte Geschmackskomponenten. Das kräftige, fettreiche Fischfleisch, das sehr herbe Pesto aus Radieschenblättern, Wildkräuter beruhigen und besänftigen wie eine Medizin, ein angeschwitztes Radieschenblatt wirkt wie ein Kontrabass, gelbe Zitronencremepunkte lenken ab, optisch und geschmacklich, gegen die Geschmacksgiganten fast süßlich. Dazu serviert Johannes Kohler, Sohn des Hauses und Sommelier, vor 2 Jahren der jüngste Italiens, einen ungewöhnlichen Kracher, einen 2005er Placet, einen weißen Rioja.

foto: hotel engel
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Plácet, welch‘ magisches Weißwein-Wort! Für viele ist dieser Klassiker von Palacios Remondo der Inbegriff eines wirklich gelungenen weißen Riojas. Er wird aus einem biologisch bewirtschafteten Teil des La Montesa-Weinbergs gewonnen, auf 550 Meter Höhe gelegen. Sowohl für die Vergärung wie auch zum weiteren Ausbau wandert der Wein in große Holzfuder (5.000 Liter Fassungsvermögen) aus französischer Eiche, wo er rund 11 Monate reift.

Im Glas zeigt er eine strohgelbe Robe mit goldfarbenen Reflexen und entfaltet schnell sein facettenreiches Duftpanorama: Zitrusfrüchte, Galiamelone, Nektarien und weiße Pfirsiche, auch florale Aromen wie Jasminblüten sind mit dabei. Am Gaumen glänzt der Wein mit einer fesselnden samtig-seidenen Textur, guter Frische und einem Hauch feiner Eichenholzwürze im Finale.

Agnolotti, Brennnesseln, Büffel-Ricotta, Bergkäse,2x Topinambur

foto: hotel engel
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Ästhetik pur, das Auge ist erst mal hingerissen. Der Geschmack folgt, der Gaumen ebenfalls hingerissen, die Geschmacksknospen fahren Achterbahn. Die Kräuter auf und zwischen den Agnolotti, den Ravioli mit Falte, sind feurig bissig, brennend. Geschmack erfährt einen Grenzbereich, ist absolut gefordert. Das Brennen im Hals wird sanft abgefedert durch die samtene Geschmeidigkeit der Fülle. Blütenstände der Brennnessel finden sich im Teig, die Fülle eine Mixtur aus Nessel und Ricotta.

Rücken vom Maibock, Bergheu-Rauch, Minimangold, vergessene Schalottencreme, rote Bete

foto: jschi
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Die 5. Begegnung mit der ‚Natur‘ ist leider ein kleines Desaster.  Der Maibock, sous-vide gegart und das geht nach meiner Meinung überhaupt nicht, Wild braucht Herzhaftigkeit, braucht Röstaromen und keinen weichen, Schmuse-Kuschelkurs. Einfach eine Geschmacksverfälschung und keine Erinnerung an vergessene Geschmackserlebnisse. Cremig weich der Geschmack und dann der Heu- Rauch, der einzige Geschmack und der bleibt auch noch unangenehm haften.

Geschmacksversöhnung durch den 2011er Merlot Riserva von Roberto Ferrari.

Eine kulinarische ‚Naturbegegnung‘ zwischen Normalität und Radikalität. Eine ungewöhnliche Küche in den Texturen, Strukturen, Kräuterr- und Gewürzeeinsatz. Kräftig, heftig, ungewöhnlich.   So ungewöhnlich und nachhaltig habe ich schon lange nicht mehr gegessen: neue Qualitäten, neue Bezüge. Theodor Falser provoziert gekonnt, verwöhnt überraschend, gestaltet ein Erlebnis, schafft Erfahrung, formt Gaumen und Zunge. Ein Dreiklang aus Individualität, Präzision und Differenziertheit.

 

foto: hotel engel
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