Janus gleicht einer Einfalt mit zwei Gesichtern, zwar Anfang und Ende – aber dazwischen göttliche Langeweile.
Valencia, la grande Divina Jana oder Diana, gleicht einer Vielfalt unzähliger Gesichter, Variationen unendlicher spannender und schöner Geschichten. Ein paar davon sollen erzählt werden, Gesichtszüge aus Kunst, Kultur und Kulinarik. Die größte Kunst der drittgrößten spanischen Stadt ist ihre Unnachahmlichkeit, ihre Individualität, ihre Lebensfreude gegenüber den großen Nebenbuhlerinnen: Madrid und Barcelona. Manuel Vicent, Schriftsteller, lebt zwar jetzt in Madrid, die Liebe zu seiner Heimatstadt, die Identifikation mit ihren geistigen Wurzeln ist stark ausgeprägt. Es ist das sanfte Klima, sagt er, die Landschaft und das spezifische Lebensgefühl dieser Gegend. Also: Genuss pur. „ In Valencia“, so Vicent in einem Gespräch mit dem FAZ Korrespondenten Paul Ingendaay, „begegnen sich die Menschen auf gleicher Augenhöhe“. Und er spricht von Natürlichkeit, Spontaneität, Unmittelbarkeit als Markenzeichen eines echten Valenciano. Ein paar Stunden Valencia reichen aus, um dieses Gefühl zu spüren, um es zu vertiefen, sich einfangen zu lassen. Ein paar Tage werden zu einer verklärenden, romantisierenden Liebenserklärung an diese Stadt mit ihren individuellen Linien, der Küche, der Lebensqualität, der Architektur, der Wissenschaft, der Kultur.
Im Besucherkopf dreht sich ein Karussell aus Kathedrale den Stadttürmen Torres de Quart und Torres de Serranos, der Seidenbörse mit ihren 16 Meter hohen spiralförmigen Säulen, ein Kreuzrippenhimmel. Eintauchen in lebendige Geschichte, man atmet förmlich den Duft der Seide, den Lärm des Handels, die Schönheit der Farben. 500 Jahre Zeitmaschiene, heute ist die gotische Halle Weltkulturerbe.
Urbane Lebendigkeit am Rathausplatz mit seiner faszinierenden Architektur, Wohlstand und prächtige Bauten, Luxus zwischen Wohnen und Geschäft. Glanz von Gestern, Lebensqualität von heute. Der moderne Yachthafen, gebaut für den 32. America’s Cup, heute wiegen sich hier Millionenwerte, sind Kulisse für die Formel 1- der Große Preis von Europa führt mitten durchs Hafengelände.
Freizeitwert und Panaromablick auf eine schöne Strandlandschaft. Und dann die Architektur der Moderne, grandios, filigran, futuristisch: die Stadt der Künste und der Wissenschaften. Für die Bürgermeisterin Symbol des 21. Jahrhunderts. Schönheit, Klarheit, Formen der Fantasie, der Zerbrechlichkeit. Der Schöpfer: Santiago Calatrava, Ingenieur, Architekt, Künstler. Valencianer aus einem künftigen Jahrtausend. Die Buchautorin und Journalistin Cordula Rabe bringt alles auf einen Punkt in ihrem Artikel ‚Weisse Riesen‘, Merian Heft 05/2007: „Seine Handschrift ist unverkennbar. Filigrane Bögen, lichtdurchflutete Glas- und Stahlkonstruktionen, Bauwerke am Rande des technisch Möglichen, kühne Gebilde mit einem ausgeprägten Hang zum Exzentrischen.“ Calatrava selbst spricht davon, dass „die Stadt der Künste und Wissenschaften die doppelte Funktion hat, Valencia zu verändern und der Stadt wieder eine Einheit zu geben.“ Madrid und Barcelona mögen das sicher nicht gerne hören, gleichgültig lässt es sie nicht. Wer ein paar Tage Valencia erlebt, verliert jede Gleichgültigkeit, wird mitgerissen von einer unglaublichen urbanen Vitalität, gefesselt von ungekünstelter Lebendigkeit, hineingerissen in eine kaum vorstellbare kulinarische Vielfalt. Fixpunkt und Ausgangspunkt für die kulinarischen Köstlichkeiten ist der Mercado Central. Fast 1000 Stände, hier brodelt es, hier duftet es, hier begreift man Saison und Region, alle Sinne werden geschärft, Genuss durch Augen und Ohren. Die Pracht der Schinken,
die Farben der Pilze und der Gemüsesorten
kleine Schweinereien an der Bar Kartoffeln mit Kunstanspruch Meeresfrüchte und Fische in Hülle und Fülle, das Mittelmeer in voller Pracht und Schönheit.
Hier wird Ahnung zur Realität: ganz Valencia ist ein Restaurant.
Beginn einer kleinen Tour Kulinaria. Station1: ein typisch valencianisches Niedrigbauhaus mit Erdgeschoss und einem Stockwerk, mitten im volkstümlichen Stadtteil El Canyameral, in der Näher des Strandes und des Hafens. ‘Casa Montana‘ ‚ eine traditionsreiche Tapasbar. Ein Treffpunkt aller Schichten, aller Professionen, immer voll und immer ein kulinarischer Hochgenuss aus Anchovis, gekochten Bohnen, Patatas bravas, Tollina, Boquerones, Calamares, Solomillo, ein Brot das süchtig macht. Auf der kulinarischen Richterskala eine 10, ein Muss für jeden der frische Produkte und hervorragende Qualität mag. Der Eintritt manchmal ungewöhnlich, wer die eigentliche Tür zum Restaurant nicht findet, geht durch die Bar, stärkt sich schon mal mit einem Aperitif und krabbelt unterm Tresen ins Fressparadies. Und: eine Bodega ist eine Bodega, ist eine Bodega, weil die Tropfen hervorragend munden, egal, ob der Tischwein oder aus dem Angebot von über tausend Flaschenweinen.
Station 2: die Horchateria ‚El Siglo‘ qualvolle Enge für ein Getränk der ganz besonderen Art, das an Milch erinnert- aber nur im Aussehen. Sämig ist es, süß, voller Vitamine und Nährstoffe. Die Horchata ist das Endprodukt aus chufas, Wurzelknöllchen des Erdmandelgrases, papyrusähnlich, stammt vom Nil. Vor den Toren der Stadt findet man sie, im Dorf Alboria, hier wachsen sie im Sommer und Herbst, fingerspitzengroß unter wirren Blattwuscheln. Dazu gehört Süßes zur Süße, nämlich fartón, eine Gebäckstange zum Tunken. Wer danach noch Hunger hat ist ein geborener Valenciano .
Station 3: das Restaurant RIFF. Der ‚Michelin‘ schreibt: Das sehr gepflegte Restaurant im minimalistischen Stil kann auf die Unterstützung des Delikatessengeschäftes nebenan vertrauen. Der Inhaber und Chefkoch bietet eine mit saisonalen Produkten bester Qualität sorgfältig zubereitete Autorenküche. Und verleiht einen Stern. Der Chef ist Deutscher, Bernd Knöller, seit 1993 in Valencia, Mitbegründer einer leichten, modernen mediterranen Küche.
Die Probe aufs Exempel
was fürs Kino das Popcorn ist hier ein Knusperreis mit Algen, getrockneten Oliven und Knuspereien vom Schwein. Optisch ein Knaller auf schwarzem Schiefer, geschmacklich etwas verwirrend und indifferent: es kracht und schnurpst, die Sensorik greift, der Geschmack, gerade bei den Oliven, bleibt leicht auf der Strecke.
Dann eine Coca – Valencias Antwort auf die Pizza – der besonderen, modernen, avantgardistischen Art: Sardine mit Frischkäse und Tomatenmarmelade. Hier überzeugt der Geschmack und die Zusammenstellung. Die Sardine tummelt sich voller Taufrische und perfektem ,Meeresgeschmack, dazu als Kontrast der wunderbare Frischkäse, die Tomate als schmeichelnder Ausgleich. Harmonie und Geschmack pur.
Es folgt ein leichter Anklang an die Molekularküche, ein frittiertes Ei auf kurz blanchiertem Spinat, einer Kartoffelvinaigrette und grünen Linsen. Mehr Spielerei und Effekthascherei als verständnisvolles Gaumenkitzeln. Vor allem stark relativiert durch fast geschmacksneutrale Linsen.
Dann ein Paukenschlag nach dem anderen: ein Fideuá negra, kleine Nudeln, gekocht im Fischfond mit Tinte, bis der Fond eingekocht ist. Ein toller Biss,ein wunderbarer Geschmack, der sich durch diese Art des Kochens voll entfalten kann. Dazu Minitintenfischwürfel – perfekt. Rund, voll, bissig.
Dann ein Herbsteintopf, ein guiso de otono con güena asada, Ein Bild spricht hier mehr als Worte Einfach eintauchen und nicht mehr aufhören. Ein Schlemmerhimmel.
Ein Flan, das klingt banal – aber nicht, wenn ihn ein Könner wie Bernd Knöller macht ein Nachtischtraum, leicht, voll im Geschmack, die Karamellsauce perfekt, ein Schmelz von Vanilleeis als Krönung. Zwischen dem Eis und der Creme eine zerbröselte Mischung aus Brownie und Kaffee – genial.
Station 4: hier hängt der Himmel voller Schinken und Spezialitäten über Spezialitäten, der Delikatessen Hochaltar ‚Las Anadas‘. Reingehen, schauen, schnuppern und probieren. Eine wunderbare kleine kulinarische Rast.
Station 5: Eine gelungene Mischung aus asiatischen und mediterranen Bausteinen, das Seu Xera und sein Besitzer, der Schotte Stephen Anderson mit asiatischen Wurzeln. Eine Küche voller Überraschungen, Feinheiten, Leichtigkeit und Eleganz. Zum Auftakt 3 kleine Schweinereien, die es in sich haben: eine Borscht von roter Bete mit Meerrettich créme fraiche, leicht erdig-süß und prickelnd-schmeichelnd. Eine vietnamesische Frühlingsrolle mit Fischsauce, klassisch gelungen und ein marinierter, zart schmelzender Lachs mit Gurkensalat und einem Minz Chutney –prickelnde Frische.
3 kleine Tapas vom Feinsten ein Lamm Kofta Burger, geschmacksträchtig in delikater Sauce; die Hühnercroquetten mit grünem Curry, Kokosmilch und Yuzu Mayonnaise, herrlich kräftig gewürzt, ein Huhn, das nach Freilauf schmeckt, umschmeichelt von milder Kokosmilch; leicht geräuchterte Sardine auf einem Gemüse Tabouleh, perfekte Verbindung zwischen Mittelkmeer und Orient,die Sardine, saftiges Marzipan.
Der Hauptgang: gewagt und auch nicht unbedingt gelungen: ein gegrilltes Risotto mit Pilzen, Iberico Schwein und Parmesanbro die erhoffte Harmonie stellte sich einfach nicht ein, der Risotto zu widerspenstig, um den Rest zu zähmen. Parmesan und Schwein sind auch zwei Welten, die schwer zueinander finden.
Eine Stadt macht Lust und Laune, klar wenn der Glücksbringer nicht die Paella, sondern die Fledermaus ist. Zwei Parallelen treffen sich in der Unendlichkeit und sie glauben daran. Stararchitekt Calatrava denkt wie die Stadt, wenn er sagt: „Ich will nicht verstanden werden, ich will meine Freiheit haben. Wären alle Blumen gleich, wäre die Welt langweilig.“