Zum Tod des großen Filmemachers Andrzej Wajda

Der Widerstand der Helden

 Von 

Zum Tod des großen Filmemachers Andrzej Wajda, der Polens ruhmreichster Regisseur war. 

 

Ende der 1950er Jahre galt Polen für viele Kinoliebhaber als das wichtigste Filmland der Welt. Das Ende des Stalinismus wirkte wie ein Erweckungsschrei für die Künste, und die nationalen Tragödien der jüngeren Geschichte drangen darauf, erzählt zu werden. Die beiden wichtigsten Filmemacher dieser jungen, bald weltbekannten „polnischen Filmschule“, Andrzej Munk und Andrzej Wajda, waren selbst im Widerstand gewesen, und Wajda nutzte bereits seinen Erstlingsfilm, „Eine Generation“ (1955), um an die Ideale der polnischen Heimatarmee zu erinnern.

Subtil pries er sie als die wahren Sozialisten – darstellerisch unterstützt von einem lebenslangen Freund, dem jungen Roman Polanski. Doch der Heroismus, den Wajda in seiner späteren Karriere noch am Beispiel vieler durchaus gebrochener Heldenfiguren meisterlich bediente, war unter dieser jungen Avantgarde durchaus umstritten.

Andrzej Munk und Wojciech Has standen dagegen für ein Kino der durchaus tragischen Ironie, das sich den einfachen Lesarten der Geschichte selbstbewusst in den Weg stellte. Munks kritische Auseinandersetzung mit einem polnischen Heldenkult in „Eroica“ (1958) wirkt bereits wie ein früher Gegenentwurf zu Wajda, ebenso wie sich Munks Holocaustdrama „Die Passagierin“ (1963) bis heute jeder lediglich naturalistischen Aufarbeitung des Menschheitsverbrechens in den Weg stellt.

Wajda, der seinen 1961 verstorbenen Kollegen um fünfundfünfzig Jahre überlebte, hatte keine Probleme mit Helden, vorausgesetzt, es waren die richtigen. Noch mit 87 Jahren konnte er sein lange gehegtes Projekt einer Filmbiographie über den großen Arbeiterführer, „Walesa. Der Mann aus Hoffnung“, realisieren, und diesmal sollte der Heroismus wenigstens eine freundliche Brechung erfahren: „Es wird auch Ironie geben, keine Angst“, erklärte er 2011 in einem Zeitungsinterview.

Es war ein filmisches Denkmal für einen engen Freund: Von 1989 bis 1991 hatte Wajda selbst als gewählter Volksvertreter für die Solidarnosc im polnischen Senat gesessen. Der Titel rückte das Werk zugleich in die Nachbarschaft seiner früheren, mutigen Plädoyers für zweifelnde Kommunisten, „Der Mann aus Marmor“ und „Der Mann aus Eisen“ (1977) – ohne es freilich mit deren komplexer Form aufnehmen zu können.

Auch wenn „Der Mann aus Marmor“ ebenfalls eine Heldengeschichte ist – Protagonistin ist eine investigative Filmemacherin, der es gelingt, die unrühmliche Backstory hinter einem Arbeiterdenkmal aufzuspüren –, so ist dieses Meisterwerk doch vor allem eine Warnung vor den Lügen staatstragender Propaganda.

Es ist nicht ohne Ironie, dass Wajda, ein Meister des Populären ebenso wie der experimentellen Formen, ein ebenso guter Denkmalbauer war wie ein Denkmalstürzer. Bereits in seinem frühen Widerstandsdrama „Der Kanal“ (1957) über eine Gruppe von Widerstandskämpfern, die sich 1944 in die Warschauer Kanalisation flüchtet, findet er eine Form, die das historische Sujet bis in die Gegenwart rückt: Die an einem apokalyptischen Schauplatz auf sich selbst geworfenen Figuren sind bereits unverkennbare Zeitgenossen des Existentialismus.

In seiner langen Karriere hat Wajda den Ruhm der polnischen Filmkunst zeitweise im Alleingang am Leben gehalten. Das machte ihn selbst zu einer Heldenfigur, schließlich thronte er über dem polnischen Kino wie der „Mann aus Zelluloid“. In seinen späten Jahren gelang es ihm freilich noch einmal, beides zusammenzubringen, die große Ansprache und die Intimität der radikalen Filmkunst.

Die letzten, atemberaubenden zwanzig Minuten des Geschichtsdramas „Das Massaker von Katyn“, in denen die polnischen Offiziere nacheinander ermordet werden, verstand Wajda als Denkmal für seinen ebenfalls in sowjetischer Gefangenschaft ermordeten Vater.

Er selbst setzte sich noch einmal in einem Kammerspiel ein Denkmal: Auf der Berlinale 2009 strahlte sein gebrochenes Liebesdrama „Tatarak“ wie ein Diamant in der Asche. Noch einmal spielt Krystyna Janda nach „Der Mann aus Marmor“ und „Der Mann aus Eisen“ eine unvergessliche Wajda-Figur in einer Reflexion über Kunst und Leben: In einem „Film im Film“ spielt sie eine Frau, die sich leidenschaftlich in einen wesentlich jüngeren Mann verliebt.

In der betörenden Szene eines frühsommerlichen Badetags kippt die Perspektive, und Wajda tritt kurz selbst als Regisseur der Filmszene in Erscheinung: Mit einem Mal wirkt die Geschichte des jungen Mannes, seiner Chancen und seiner Tragik wie eine Episode aus dem Erinnerungsschatz des Regisseurs selbst. Noch einmal war der über Achtzigjährige einer der modernsten Künstler seiner Zeit.

Am Sonntagabend starb der Neunzigjährige in einem Warschauer Krankenhaus, wo er wegen Lungenproblemen behandelt worden war.