Was kann eine Walflosse auf der Coverseite von Dörte Hansens neuem Roman „Zur See“ bedeuten? Und das kleine Schiffchen, aus dem der Insasse zu fallen scheint? Hat eine wuchtige Bewegung des Wals oder eine Welle das Boot zum Kentern gebracht?
Familie Sander – „Alter Inseladel“
Alles geschieht auf einer Nordseeinsel. Hier leben auch die fünf Sanders, eingesessene Norddeutsche, Insulaner. „Alter Inseladel“. Ein typischer Menschenschlag des Nordens, der sich in einer sich verändernden Zeit zurechtfinden muss. Jeder Einzelne. Auf der Insel und schon weg. Charakterisiert durch ihre Eigenheiten und individuellen Besonderheiten bleibt der Familie nichts übrig, als sich den neuen Gegebenheiten zu stellen. Mit allen Schwierigkeiten, Konflikten und Sorgen. Mit dabei Freund Alkohol. Als Hilfe? Nein, die kommt in Form eines Wales auf die Insel. Es ist mehr eine Chance, die sich durch den gestrandeten Wal bietet und von den Insulanern und der Familie Sander aufgegriffen wird. Fast wortlos geht das unter den Menschen. Aber bis ins Detail beschrieben.
Atmosphärische Beschreibung
Es ist der dritter Roman („Altes Land“ und „Mittagsstunde“) von Dörte Hansen. Auch hier in ihrem neuen Roman „Zur See“ ihr Thema: Veränderung. Eine Insel, auf der alte Traditionen verschwinden, neue Berufe entstehen, ganze gesellschaftliche Umbrüche stattfinden. Die Autorin „Zur See“ kennt das Milieu, kennt die raue See, brausende Stürme und den spröden Menschenschlag. Und deshalb gelingt ihr genaustens die Beschreibung der Familienmitglieder der Sanders, ihr Alltag, ihr Umfeld. Man sieht sie alle vor sich. Selbst den Pastor Lehmann mit seinen Nöten. Hansen beschreibt jede Person, ihren Charakter. Ein Bild entsteht von Jedem, bis zum Schluss.
Verändertes Inselleben
Aber es entsteht auch ein Bild der Insel, in ihrer Umbruchsphase, ihrer Veränderung. Hansen spiegelt in ihren Beschreibungen die Erfahrungen der Leser*innen, erweitert die Bilder von Touristenströmen auf einer kleinen Insel. Man wird als Leser*in hineingezogen in einen Strudel vom Hier und Jetzt und dem Früher. Der Roman zeigt genaustens diese Gegensätze. Klingt da im Vergleich sogar etwas Wehmut in Richtung Vergangenheit? Dörte Hansen trifft den Ton der Region, der Menschen und ihrer Melancholie.
Und wer sagt, die Weite des Meeres fasziniere ihn nicht, zieht ihn nicht an, lese das Buch und lasse sich literarisch mitnehmen und treiben. Auf Wellen, die Wale stranden lässt und auf Wellen, die alles verändern können. Unser Buchtipp für den Gabentisch.
Zur See
Dörte Hansen
Penguin Verlag, 256 Seiten
ISBN: 9783328602224
Artikelfoto: Meer und Strand, Foto: ©gab